Wetterfühligkeit bei Pferden – Gibt es das „Kolikwetter“ wirklich?
Jeder hat schon erlebt, dass sich sein Pferd vor irgendetwas erschrocken hat, obwohl da doch „gar nichts“ war. Das legt den Verdacht nahe, dass Pferde auch für das Wetter feinere Antennen haben als Menschen.
Gerade bei starkem Wind sind Pferde oft aufgedreht – sei es wegen der vielen zusätzlichen Geräusche, die er verursacht, oder weil er andere Geräusche überdeckt. „Beim Hören und der Wahrnehmung von Gerüchen war uns Menschen das Pferd wohl schon immer überlegen, denn für ein Fluchttier ist die frühzeitige Wahrnehmung von Gefahrenquellen überlebensnotwendig“, erklärt Barbara Schulte, Autorin von „Vom Fluchttier zum Designerpferd“ (Müller-Rüschlikon). „Pferde sind uns schon rein anatomisch überlegen, weil sie ihre Ohrmuscheln drehen können und der Schall wie über einen Trichter ins Innenohr geleitet wird. Wir haben, vereinfacht gesagt, nur Löcher am Kopf. Die Augen eines Pferdes liegen seitlich am Kopf und erlauben fast eine Rundumsicht. Mit gerecktem Hals haben Pferde noch eine weit bessere Übersicht: Sie können über niedrige Dinge hinwegsehen und eine Gefahr schon von weitem erkennen. Das Pferd sieht Bewegungen besonders gut, Menschen können besser fixieren und fokussieren, wobei sich Pferde noch stärker auf ihr Gehör verlassen als auf ihre Augen“, erklärt Schulte.
Manche Pferdebesitzer berichten, dass Pferde in Gruppenhaltung schon Stunden, bevor es anfängt zu regnen, ins Freie gehen, Unterschlupf suchen oder ihr Hinterteil geschlossen in dieselbe Richtung drehen: Vielleicht riechen sie herannahenden Regen über hunderte von Kilometern hinweg. Wie beim Menschen ist es individuell unterschiedlich, wie Pferde auf das Wetter reagieren. „Es ist schwierig, eine allgemeingültige Aussage über Wetterfühligkeit bei Pferden zu treffen“, sagt Nicole Maier, die unter anderem Dozentin an der Akademie für Tierheilkunde, Pferdeosteopathin ICREO und ausgebildete FN Pferdephysiotherapeutin ist (➜ www.hand-ans-pferd.de). „Es könnte sein, dass Pferde wie manche Menschen einen Wetterwechsel an älteren Knochenverletzungen spüren, aber man kann sie ja nicht fragen.
Kalt oder doch lieber warm?
Den kombinierten Effekt von Temperatur, Feuchte, Sonnenstrahlung und Wind nennt man den thermischen Wirkkomplex. „All diese Größen beeinflussen die Energiebilanz unseres Körpers, also die Energie, die unser Körper aufwenden muss, um seine Solltemperatur zu halten“, erklärt Richner. Sicher ist, dass sich der thermische Wirkkomplex auf Pferde ebenso auswirkt wie auf Menschen. Auch sie sind ständig damit beschäftigt, ihre Körpertemperatur auf gleichbleibendem Niveau zuhalten, wobei Pferde in der Thermoregulation sehr viel besser sind als wir und sich deshalb bei einem wesentlich größeren Spielraum noch pudelwohl fühlen: Die meisten von ihnen tolerieren Temperaturen von minus zehn bis plus 25 Grad ohne Anzeichen von Unbehagen. Erst ab Temperaturen von unter minus zehn Grad fangen Pferde an, zusätzliche Kalorien fürs Heizen zu verbrauchen.
Zumindest wenn Pferde die Möglichkeit haben, Zugluft auszuweichen, sich zu bewegen und dadurch ihre Körpertemperatur zu erhöhen, können ihnen Wind und Wetter nicht viel anhaben: In einem kleinen Paddock, der ihnen diese Möglichkeit verwehrt, mag das nicht der Fall sein. Bei regelmäßig eingedeckten, geschorenen, alten oder kranken Pferden kann die Fähigkeit zur Thermoregulation beeinträchtigt sein. In solchen Fällen
dürfen Sie Ihr Pferd nicht einfach ungeschützt den Elementen aussetzen. „Bei eingedeckten Pferden ist der Stoff-wechsel generell anfälliger, sie können quasi gar nicht mehr natürlich auf das Wetter reagieren“, erklärt Maier. Auch Pferde, die aus Klimazonen stammen, die sich von unserer stark unterscheiden – zum Beispiel Nordpferde wie Isländer oder Wüstenpferde wie Araber – können mit unserem Wetter Probleme
haben: Isländer haben eine geringere Hitzetoleranz und fangen unter Umständen an, wie Hunde zu hecheln, um ihren Körper zu kühlen. „Große Kälte können Pferde besser aushalten als große Hitze“, sagt Schulte. „Ich wohne im Norden, hatte aber eine Stute, die an Tagen mit Temperaturen
über 30 Grad zu Koliken neigte. Man könnte sie in diesem Sinne als wetterfühlig bezeichnen.“
Gibt es typisches Kolikwetter?
Im Zusammenhang mit Pferden und Wetterfühligkeit berichten Tierärzte immer wieder, dass bestimmte Wetterlagen Koliken begünstigen. Wie beim Menschen sind es vor allem Wetterwechsel mit starken Schwankungen in der Temperatur oder Luftfeuchtigkeit, die Pferde belasten, wobei man nicht behaupten kann, dass eine spezielle Wetterlage bei allen Pferden immer Kolik begünstigt. Ebenso wie beim Menschen könnte eine Ursache für einen Zusammenhang zwischen dem Wetter und Kolik darin zu suchen sein, dass Wetterreize das vegetative Nervensystem ansprechen oder eben stören. Denn das vegetative Nervensystem steuert auch die Darmtätigkeit. Man könnte also Pferde mit einem labilen vegetativen Nervensystem auch als wetterfühlig einstufen. Wenn Ihr Pferd jemals eine Kolik hatte, kann es nicht schaden, wenn Sie sich das Wetter (und auch die anderen Begleitumstände) vorsichtshalber notieren. So können Sie bei wiederholten Kolikanfällen aufgrund Ihrer Aufzeichnungen später feststellen, ob die Wetterlage eine Rolle spielen könnte. Die vorbeugenden Maßnahmen, die Sie gegen Wetterfühligkeit
bei Ihrem Pferd unternehmen können, ähneln ebenfalls denen für Menschen:
Sorgen Sie dafür, dass
- • Ihr Pferd generell fit ist, also kein Übergewicht hat und in
einem guten Trainingszustand ist;
• es ausreichend Bewegung an der frischen Luft hat,
Sommer wie Winter;
• ein gesundes Klima im Stall herrscht: wenig Staub und
Schadgase, viel Frischluftzufuhr (aber keine Zugluft), wenig
Feuchtigkeit;
• Ihr Pferd wenig Stress hat, zum Beispiel durch einen
gleichbleibenden Tagesablauf, einen Boxennachbarn,
dem es freundschaftlich gesinnt ist, und Kontakt zu
ebensolchen Artgenossen;
• Ihr Pferd ausreichend trinkt, vor allem bei warmem Wetter:
Das können Sie einerseits erreichen, indem Sie Apfelsaft in
sein Wasser mischen, oder indem Sie mehr beziehungsweise
länger Heu füttern, denn die Heuaufnahme regt das Pferd
direkt zur Wasseraufnahme an.
Horse-Gate/Sophia Tigges