Vererbung – Die Weiberherrschaft (Teil 1)
Nach außen hin ist der Hengst das dominierende Element in der Pferdezucht. Er soll Exterieur und Interieur des Fohlens bestimmen und die Schwächen der Mutter ausgleichen. Dabei sind sich Züchter längst einig: Stuten prägen das Fohlen mehr. Das hat nicht nur soziale, sondern auch biologische Gründe.
Seltsam. Der Hannoveraner-Fuchswallach E.T., der unter seinem Reiter Hugo Simon 3,2 Millionen Euro Preisgeld im Springen gewann, hatte eine unverkennbare Blesse. Sie war breit und kreiste in der Nähe des rechten Auges ein Stück Fuchsfarbe wie ein rotes Ei ein. Da E.T. als Wallach keine Nachkommen zeugen konnte, ließ sein Besitzer ihm Gewebezellen entnehmen und davon in den USA einen Klon herstellen. 2006 kam „E.T. Cryozootech-Stallion“ zur Welt, eine 100-prozentige genetische Kopie. Und dennoch trägt der „neue“ E.T. eine normale dünne Blesse. Äußerst seltsam. Gehen wir davon aus, dass Vater und Mutter, Hengst und Stute, dem Nachwuchs je 50 Prozent an Erbgut liefern. Und gehen wir weiter davon aus, dass das Erbgut allein die Ausprägung zumindest der körperlichen Eigenschaften des Fohlens ausmacht. Dann dürfte dieser Klon keine veränderte Blesse haben. Dass er sie doch hat, hat mit der Stute zu tun, die das Klonpferd austrug. Denn die embryonale Entwicklung der Zellen läuft nicht immer gleich – sie ist nicht nur vom genetischen Material, sondern auch von den Bedingungen abhängig, die im Uterus herrschen. Doch dazu später mehr.
Die Stute liefert mehr Erbgut
Grundsätzlich bekommt ein Fohlen je einen haploiden Chromosomensatz (siehe Kasten) von Hengst und Stute geliefert. Die Chromosomen sind aber nicht die einzigen Träger der Erbmasse DNA. Die Mitochondrien enthalten ebenfalls kleine Mengen DNA. Sie sind die Hauptenergielieferanten für den Zellstoffwechsel. Auch die große Eizelle der Stute besitzt Mitochondrien, während die kleine Spermazelle des Hengstes praktisch keine liefert. Daher erhält das Fohlen nur die mütterliche mitochondriale DNA – immerhin zwei Prozent der gesamten zellulären DNA. In Wahrheit liefern also Hengst und Stute nur je 49 Prozent der Erbanlagen über die Chromosomen. Dazu kommen zwei Prozent über die mütterlichen Mitochondrien. Heißt im Klartext: Genetisch betrachtet liefert die Stute 51 Prozent des Erbguts und der Hengst nur 49 Prozent. Der Niederländer Jac Remijnse vom Stutbuch Zangersheide sagte einmal in einem Vortrag über die Bedeutung von Hengstlinien, Stutenstämmen und Vererberkombinationen: „Die Stuten geben die entscheidenden Merkmale zur Leistung weiter“ – und erntete Zustimmung von sämtlichen anwesenden Züchtern. Auch dieser Erfahrungswert könnte mit der mitochondrialen DNA zu tun haben. Denn dort könnte der genetische Knotenpunkt für die Leistung verankert sein. Prof. Dr. Christine Aurich von der Veterinärmedizinischen Universität Wien hat zumindest eine Theorie dazu: „Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zellen. Das könnte einen Einfluss auf Schnelligkeit, Leistung und Energie haben, der dann gezielt über die Stute vererbt wird.“ Wissenschaftlich bewiesen ist das aber nicht. Sicher ist jedoch, dass zahlreiche Eigenschaften eines Individuums über sehr komplizierte genetische Vorgänge und mehrere Gene bestimmt werden. Bei diesem Vorgang werden nicht immer beide Erbanlagen von Mutter und Vater gleich „abgelesen“. Noch kein Mitglied?! Alle Exclusive-Vorteile nutzen: © Dieser Auszug basiert auf einem Beitrag von Regina Käsmayr, der im Sammelwerk „Ausgewählte Hengste Deutschlands 2016/17“ erschienen ist.
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