Clemens von Nagel – Pferdemann und Visionär (Teil 3)
Ramzes AA wegweisend
Infolge des altersbedingten Ausscheidens der Vornholzer Hengste Marcellus xx, Oxyd xx und Pernod xx sowie durch den Weggang des Ausbildergespanns Lörke/ Schultheis richtete Baron von Nagel sein Augenmerk stärker auf den zum damaligen Zeitpunkt noch recht kleinen Springstall. Mit dem Ankauf der polnischen Schimmelhengste Ramzes AA und Krol Walca steckte der Baron ein neues Ziel für seine Zucht. Vornehmlich die Töchter des Oxyd bildeten den Grundstock für den Erfolg des Ramzes AA, der aus heutiger Sicht einer der bedeutendsten Leistungsvererber der deutschen, wenn nicht europäischen Warmblutzucht nach dem 2. Weltkrieg ist.
Ramzes AA war während des 2. Weltkrieges zunächst als Remontehengst im polnischen Janow Podlaski eingesetzt, später aufgrund der Kriegsentwicklung nach Grabau verlegt und bei Kriegsende an den polnischen Offizier Witalis Bielecki gekommen, der ihn auf den ersten Turnieren der Alliierten nach dem Krieg ritt. Von Nagel kaufte ihn, nicht zuletzt weil er seine Qualitäten kannte.
Ramzes AA bestritt unter Micky Brinkmann erfolgreich eine Reihe von M-Springen, bis er sich das Fesselbein brach. Mit unglaublicher Geduld ertrug er seine Verletzung und trug so zu seiner Genesung bei, erholte sich und blieb der Zucht erhalten. Bereits in seinem Deckeinsatz in Polen hatte er sehr gute Jagd- und Springpferde gemacht, mehr im Huntertyp seines Vaters Rittersporn xx als im arabischen Typ seiner Mutter Jordi. Genau dies kam dem Vornholzer Zuchtziel mit seinen vornehmlich Beberbecker, Holsteiner und hannoverschen Stuten sehr entgegen.
Bei den Westfalen wurde Ramzes AA zunächst in die Zuchtwertklasse IV eingestuft, die Holsteiner zeigten weniger Zurückhaltung und sicherten sich den Hengst für zwei Decksaisons (1951 und 1952, später nochmal 1959/1960). Der beispiellose Siegeszug des Anglo-Arabers nahm seinen Anfang: Während er (der ausnahmslos seine Schimmelfarbe vererbte) in Holstein Spitzenspringpferde wie Ramona (Alwin Schockemöhle), Retina (Fritz Thiedemann), Romanus (Hans Günter Winkler) und Ramzes XIII (Kurt Jarasinski) sowie hochklassige Töchter und gekörte Söhne lieferte, brachte er in Westfalen Talente fürs Viereck, zum Beispiel Mariano (Silber und Gold 1968 in Mexiko unter Josef Neckermann), Tiga (Grand Prix-Pferd unter Heinz Lammers) und den aus einer Abdel Krim-Hersdorf gezogenen Remus (Silber und Gold in Tokio 1964 unter Harry Boldt), um nur einige zu nennen. In der westfälischen Zucht war es der Ramzes AA-Sohn Ldb. Radetzky, ein Vollbruder des Mariano, der als Kronerbe des Ramzes-Blutes galt. Dieser Schimmel, gezogen in Vornholz, aus der hochedlen Malta von Oxyd (a. d. Meerfahrt von Meleager, den von Nagel aus seiner Zeit in Beberbeck, Warendorf und Racot kannte), wurde Warendorfer Landbeschäler und war das beste Beispiel der hervorragenden Reitpferdeeigenschaft en, die Ramzes AA vererbte. Radetzky war bis Grand Prix ausgebildet und wird mit Blick auf seine Vererbungsleistung mit Hengsten wie Duellant und Abglanz gleichgesetzt.
Als Ramzes AA mit fast dreißig Jahren nach 18-jähriger Decktätigkeit 1966 eingeschläfert wurde, wurden die Freunde dieses Hengstes mit einer eigens gedruckten Karte benachrichtigt; seine Geschichte war noch nicht zu Ende, sie begann gerade erst – und hält bis heute an.
Der andere Polen-Import, der o. g. Krol Walca, ein etwas derber Dunkelschimmel, stammte vom Vollblüter Jantos xx, der in Racot gewirkt hatte. Krol Walcas Mutter Warszawianka (siehe oben) war ohne Zweifel das erfolgreichste Springpferd Polens in den 20er- und 30er-Jahren und nahm an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin teil. Krol Walca stand immer im Schatten von Ramzes AA und wurde vornehmlich für die eigenen Vornholzer Stuten benutzt; unter anderem brachte er das Springpferd Feuerdorn (H.G. Winkler).
Holsteiner Stuten geadelt
Die Erfolge der „Ramzes-Expedition“ im Land zwischen den Meeren ließen Clemens von Nagel, diesen von der Norm abweichenden, genialen Horseman, dem das Brandzeichen nie zur Ersatzreligion geworden war, schnell umdenken. In den 50er-Jahren, als durch die unaufhaltsame Motorisierung in der Landwirtschaft die schweren Holsteiner alten Schlages verschwanden, kaufte Clemens von Nagel gezielt einige dieser Stuten aus bewährten Springstämmen. Er war überzeugt, dass eine edle Sportpferdezucht an gewisses Maß an Substanz und Kaliber benötigt. Das schien ihm durch die kalibrigen Stuten „mit den gemeißelten Köpfen auf Wikingerhälsen“ (Gustav Rau) gewährleistet. Gleichzeitig mit diesen Stuten kauft e er den Landbeschäler Herold v. Herder-Makler I vom damals kurz vor der Schließung stehenden Landgestüt Traventhal. Herold war ein Erhalterhengst alten Typs, der in Holstein „unmodern“ geworden war und gehäuft das Springblut der holsteinischen Favorit-Tobias-Linie führte.
Clemens von Nagels neues Konzept lautete nun: Verankerung des natürlichen Springvermögens, der Springfreudigkeit, Leistungsbereitschaft und Unverdrossenheit des Holsteiners in der Vornholzer Zucht auf drei Wegen: einmal durch holsteinische „Reinzucht“, durch die Kombination der angekauft en Holsteiner Stuten mit Herold, zweitens durch Anpaarung dieser Stuten mit Veredler-Hengsten wie Ramzes AA und Vollblütern wie Usurpator xx und drittens, umgekehrt, Anpaarung der Altvornholzer Stuten mit Herold. Aus diesen Kombinationen entstanden im Laufe der nächsten Jahre Pferde, die dem Gestüt neue sportliche und züchterische Impulse und Erfolge brachten. Noch kein Mitglied?! Alle Exclusive-Vorteile nutzen: © Dieser Auszug basiert auf einem Beitrag von Franz-Josef Neuhaus, der im Sammelwerk „Ausgewählte Hengste Deutschlands 2014/15“ erschienen ist.
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