Hengsthaltung mit Sozialkontakt
Wie ist die Vorstellung in vielen Köpfen, wenn es um Hengsthaltung geht? Boxengitter und vom Geschehen abgewandt – das Klischee bedeutet kompromisslose Einzelhaft. Aus Sorge vor Verletzungen und Unfällen gibt es außerdem wenig Auslauf, denn das Testosteron der Tiere scheint demjenigen, der es wagt, die Boxentür zu öffnen, förmlich entgegen zu kochen.
Moderne Haltungsformen
Doch halten wir fest: Die Realität sieht längst nicht mehr für alle Hengste so aus. Es gibt inzwischen auch Hengsthalter, die mit Gruppenhaltung und Sozialboxen positive Erfahrungen gemacht haben – und sie würden ihre Haltung nie für isoliertes Boxendasein eintauschen. Wir berichten von ihren Erfahrungen und geben Tipps, wie auch andere Hengsthalter von ihrem Wissen profitieren können. Vor allem das Modell Junggesellengruppe hat sich für viele Hengsthalter bewährt. Dr. Axel Brockmann, Gestütsleiter vom Landgestüt Celle, empfiehlt, Junghengste bis zu einem Alter von circa zwei Jahren nach der Trennung von ihrer Mutter in einer Gruppe mit einem älteren Erzieher zu halten. So lernen die Junghengste Sozialverhalten, das sie auch für spätere Vergesellschaftung brauchen. In der Hengststation des Landesgestüts Celle in Adelheidsdorf leben die Hengste in großzügigen Paddockboxen – und haben so viel frische Luft, Licht und Sozialkontakt zu Artgenossen. Für ausreichend freie und kontrollierte Bewegung sorgt ein für jedes Pferd individuell ausgearbeiteter Plan aus Führanlage, Training und Auslauf.
Leitlinien gelten auch für Hengste
Diese Bedingungen sehen die Leitlinien vor – und sie gelten nicht nur für Stuten und Wallache, sondern auch für Reit- und Deckhengste:
- Hochgeschlossene Trennwände sind nur in Ausnahmefällen, z.B. für Kliniken, Quarantäneboxen oder Abfohlboxen zulässig.
- Pferde müssen sich gegenseitig über die Frontseite riechen, hören und sehen können.
- Bei der Aufstallung sollte man beachten, dass die Boxennachbarn miteinander verträglich sind. Warnzeichen sind Drohen oder Ausschlagen.
- Grundsätzlich sind alle Pferde, unabhängig von Alter, Rasse, Geschlecht oder Nutzungsart für die Gruppenhaltung geeignet.
Sicherer Auslauf durch sichere Hengstzäune
Die Broschüre sichere Weidezäune des aid-Infodienstes sieht für Hengstweiden folgende Mindestmaße vor: Hengstzäune sollen drei elektrische Leiter haben: 1. Leiter 60-80 cm über dem Boden, 2. Leiter 100-120 cm über dem Boden und 3. Leier 140-160 cm über dem Boden. Abhängig ist die Zaunhöhe immer von Größe und Sprungkraft der eingezäunten Hengste.
Hengsthaltung mit Sozialkontakt am Schweizer Nationalgestüt
In einem mehrjährigen Forschungsprojekt des Schweizer Nationalgestütes von Agroscope in Avenches wollen die Mitarbeitenden die Haltungsbedingungen für Zuchthengste verbessern. Seit 2013 betreut Dipl. Ing. Agr. ETHZ Christa Wyss das Projekt mit. Ein wichtiges Instrument sind die Sozialboxen, die Pferden mehr Möglichkeiten zu direktem Sozialkontakt geben. Diesen neuen Boxentyp entwickeln sie ständig weiter. Dabei gilt für sie die Haltung mit Sozialkontakt als Härteprüfung, wie Christa Wyss erklärt: „Wenn dieses System mit Deckhengsten funktioniert, dann kann es für fast alle Pferde funktionieren. Allerdings empfehle ich eine Vergesellschaftung von Hengsten entsprechend nur unter der fachkundigen Begleitung von Spezialisten.“
Die Sozialbox
Andreas Kurz, der in der Schweiz ein Vorreiter in der Gruppenhaltung von Sportpferden ist, hat die Sozialbox entwickelt. Ihr Prinzip vereint die wichtigsten Vorzüge aus beiden Welten: Gruppen- und Boxenhaltung. Entsprechend ist die eine Hälfte der Boxenwand geschlossen – und gibt dem Hengst die Möglichkeit, sich jederzeit von seinem Nachbarn zurückzuziehen. Die andere Hälfte der Boxenwand ist mit senkrechten Stangen im Abstand von 30 cm ausgestattet. Diese geben den Freiberger-Hengsten genug Platz, um den Kopf zum Nachbarn durchzustrecken, aneinander zu knabbern oder zu spielen, gemeinsam zu ruhen oder das Stroh in der Nachbarbox zu fressen. Die Abstände der Stangen müssen jeweils auf die Größe der Pferde, die in den Sozialboxen untergebracht sind, angepasst sein. Eine auf die Größe der Hengste abgestimmte Höhe der vertikalen Stangen ist ebenfalls wichtig, wie Christa Wyss erklärt: „Die Hengste müssen beispielsweise beim Spielen steigen können, ohne sich an der oberen Querstange den Kopf anzuschlagen.“ Damit das Zusammenleben klappt, sollten sich die Boxennachbarn gut miteinander verstehen. Dies zu erkennen und richtig zu interpretieren fordert viel Fachkompetenz, lohnt sich aber. „Die Pferde nutzen die Möglichkeit zum Körperkontakt gerne“, versichert Christa Wyss. Auch auf das Verhalten wirke sich die Haltung in Sozialboxen positiv aus.
Die Forschungsprojekte Gruppenhaltung und Sozialboxen
Gruppenhaltung
2009 startete die Testreihe des Nationalgestüts auf einer 4 Hektar großen Koppel direkt nach der Decksaison. Die beteiligten Hengste waren nach der Trennung von ihrer Mutter bis zu einem Alter von 30 Monaten in Gruppen aufgewachsen und deshalb sozialisiert. In der ersten Zeit kontrollierten die Mitarbeiter die Situation und beobachteten das Verhalten der Hengste genau.
Sozialboxen
2013 zogen die Freiberger-Hengste im Rahmen eines Forschungsprojektes paarweise in die Sozialboxen ein, wo sie regelmäßig auf Verletzungen untersucht und gefilmt wurden. Die Mitarbeiterinnen werteten das Bildmaterial aus und analysierten das Verhalten der Hengste. Das Fazit: Die Hengste verbrachten ca. 50 Minuten pro Tag ausschliesslich mit Spielen. Zahlreiche weitere soziale Verhaltensweisen kommen dazu. Selten traten aufgrund der sozialen Interaktionen kleinere Hautveränderungen mit Schwellungen, Haarverlust oder kleine blutige Stellen auf. Es gab jedoch keine Verletzungen, die zusätzliche Pflege erfordert hätten. Vor Turnieren oder wichtigen Veranstaltungen kann sich Christa Wyss vorstellen, je nach Situation eine „Körperkontaktpause“ von etwa drei-vier Wochen. Dadurch könnte man allfälligen kleinen Hautveränderungen, die allenfalls einen Turnierausschluss bedeuten könnten, vorbeugen.
Der Schrankenschneiderhof: Hengste in Gruppenhaltung
Der Schrankenschneiderhof in Ebersberg (Oberbayern) biete Hengsthaltung in der Gruppe an. Entstanden ist das auf dem Familienbetrieb durch Zufall, wie das Ehepaar Anton und Andrea Zeller erzählt: „Im Jahr 2002 hatten wir ein Hengstfohlen gekauft, das wir auch dauerhaft in unsere Offenstallgruppe integrieren wollten.“ Heute umfasst die Gruppe sieben Junghengste, zwei Deckhengste und sechs Wallache. Möglich ist das durch eine große Fläche, durch Beschäftigungsmaßnahmen wie den Schauer-Futterautomaten, genügend Rückzugs- und Ruhemöglichkeiten – und ein erfahrenes Management. „In der Regel achten wir darauf, dass die Hengste sozialisiert sind und zwischenzeitlich nicht längere Zeit alleine standen. Außerdem ist es wichtig, dass die Pferde in der Männer-Gruppe – vor allem die Wallache – bereit sind, sich den Hengsten unterzuordnen und die Rangordnung akzeptieren“, erläutert Andrea Zeller. Geeignet für die Gruppenhaltung hält sie jedes Pferd: „Ich glaube, der Grundcharakter muss stimmen und nicht die Rasse.“
Fazit:
Diese Projekte beweisen genauso wie andere Beispiele, dass auch Reit- und Deckhengste von einer Haltung mit direktem Sozialkontakt profitieren und diese Haltung für sie durchaus möglich ist. Um die Haltung zu verbessern, braucht es neben dem Fachwissen unbedingt auch Mut, besonders zu Beginn.