Landgestüt Celle – ein Blick in die Vergangenheit (Teil 2)

[vc_row][vc_column][vc_column_text]Das Gestüt wuchs und gedieh. Indes aber waren Hannovers Tage gezählt...

Auf eigenen Wegen

1866, im Konflikt zwischen Preußen und Österreich, stellte sich das Königreich auf die falsche Seite und wurde preußische Provinz. Ein weit größerer Einschnitt für das Gestüt war jedoch der Rücktritt Spörckens im selben Jahr. Für kurze Zeit übernahm Spörcken-Schüler Julius von Schlütter die Leitung. 1869 übernahm Friedrich Ludwig Urban von Unger den Posten des Landstallmeisters. Dieser trug maßgeblich dazu bei, dass die hannoversche Pferdezucht Ende des 19. Jahrhunderts fast komplett auf eigenen Beinen stand. Von den Züchtern, insbesondere durch den im Jahre 1867 gegründeten „Verein zur Förderung der hannoverschen Landespferdezucht“, erhielt das Gestüt Schützenhilfe für sein Bestreben, einen einheitlichen, unverkennbaren Pferdetyp zu züchten. Konsequente Folge war die Einführung eines Stutbuches als organisatorische Grundlage, welche aber erst 1893 umgesetzt wurde. Die Zahl der Deckstellen bewegte sich stetig auf die magische 100 zu, 216 Hengste deckten in Celle zu Spitzenzeiten. Nach wie vor war die Landwirtschaft Hauptabnehmer der Pferde.

Die erste Hengstparade in Celle

Immer mehr Landbeschäler drängten die Privathengste zurück. Ein Grund mag der Glaube an die Autorität staatlicher Einrichtungen gewesen sein, die im 1. Deutschen Nationalstaat herrschte. Übrigens: Während in Hannover das Pferdebild immer einheitlicher wurde, boomte in Deutschland zu Zeiten der Hochindustrialisierung die Kaltblutzucht. [caption id="attachment_189709" align="alignleft" width="450"] Die berühmte Quadrille der Celler Hengstparade © Landgestüt Celle[/caption] Die enge Verbindung des neuen Landstallmeisters Dr. Wilhelm Grabensee (der erste Tierarzt in diesem Amt) mit der preußischen Gestütsverwaltung unter Graf Georg von Lehndorff führte dazu, dass zunehmend ostpreußische Pferde zur Veredelung eingesetzt wurden, ohne dabei vom hannoverschen Reitpferdetyp abzuweichen. Grabensee war Initiator der Celler Hengstparaden, wie wir sie heute kennen. Schnell wurden die alljährlichen Veranstaltungen zu einem wahren Besuchermagnet. Am 11.10.1907 fand die erste Hengstparade in der heutigen Form statt. Grabensee starb 1915. Sein Amt übernahm Graf Georg Kalnein. Im Zuge der Industrialisierung stieg zwar einerseits vorübergehend die Nachfrage nach schweren Arbeitspferden – aus dieser Zeit stammt übrigens auch die Klassifizierung in Voll-, Warm- und Kaltblut – zum anderen entdeckte man den Reitsport an sich.

Reitsport wird populär

Ende des 19. Jahrhunderts war Sport ohnehin ein wichtiger Bestandteil des Lebens geworden, sicher auch bedingt durch die Vorliebe des Industriezeitalters für messbare Leistungen. In unterschiedlichen Disziplinen wurden immer mehr Turniere ausgetragen. [ihc-hide-content ihc_mb_type="show" ihc_mb_who="4,3" ihc_mb_template="3" ] Eine neue Herausforderung für die deutsche Pferdezucht. 1913 erfolgte die Gründung des heutigen DOKR. Treibende Kraft war Georg Rau, der auch in den folgenden Jahrzehnten als Schnittstelle zwischen Sport und Zucht fungierte. Nicht umsonst gelten die frühen 20er Jahre als die Geburtsstunde der Reit- und Fahrvereine in Deutschland: Kavalleristen fanden dort nach Kriegsende die Möglichkeit, auch weiterhin ihren Leidenschaften nachzugehen.  

Die Weltkriege

[caption id="attachment_189711" align="alignleft" width="450"] Luftbild vom Landgestüt Celle © Landgestüt Celle[/caption] Nach dem Ersten Weltkrieg war der Pferdebestand allgemein sehr ausgedünnt. Allein im Jahr 1919 musste Deutschland 700 Zuchthengste und 40.000 weitere Pferde vor allem an Frankreich und Belgien abgeben. Um die Verluste auszugleichen, wurde gezüchtet was das Zeug hält. Gezwungenermaßen Quantität statt Qualität lautete die Devise. In Celle gab es mit 500 Beschälern einen neuen Rekord. Aber der Höhenflug hielt nicht lange an: Durch den Verfall der deutschen Währung trieben ausländische Käufer die Preise nach oben. Um dennoch die guten Pferde im Land halten zu können, reagierte die Gestütsleitung prompt. Das 1921 neu eingerichtete Remontendepot Hunnesrück kümmerte sich um den Nachwuchs, die Hengstprüfungsanstalt Westercelle siebte ihn aus.

Krise in der Pferdezucht

Mitte der 20er-Jahre – ganz entgegen dem allgemeinen Aufschwung der Weimarer Zeit – stürzte die Pferdezucht in eine schwere Krise. Ein riesiges Überangebot von Pferden ließ die Bedeckungszahlen in den Keller sinken. Um der Krise zu begegnen, legte man immer mehr den Schwerpunkt auf den Sport als Stütze der Zucht. Dort demonstrierte der Hannoveraner immer mehr seine Überlegenheit. Das Programm der Hengstparaden wurde zunehmend publikumswirksam gestaltet, so dass sich die Besucherzahlen bald schon im fünfstelligen Bereich bewegten. 1925 wird Theodor Korndorff, bis dato Gestütsleiter in Osnabrück-Eversburg, neuer Landstallmeister. Auch wenn im Zuge der Machtübernahme Hitlers 1933 alle Reitvereine „gleichgeschaltet“ wurden, führte das in Celle zu keinem Bruch. Im Gegenteil: Der Beschälerbestand stieg immens an – die Wehrmacht wurde Mitte der 30er Jahre zum Großabnehmer. Fast 1,5 Millionen Pferde wurden 1941 an der Ostfront verheizt. 1945 marschierten die Briten und Amerikaner ein. Kurz vorher war eine Zugladung geretteter ostpreußischer Pferde angekommen – sehr zum Missfallen des Landstallmeisters. Nach Korndorff‘s Entlassung übernahm Dr. Martin Heling, seines Zeichens letzter Oberstallmeister in Trakehnen, die kommissarische Leitung. Die Lage entspannte sich langsam. Georg Steinkopff wurde neuer Landstallmeister und das Wappen des 1946 gegründeten Niedersachsen weist diesen Landstrich von da an ganz offiziell als „Pferdeland“ aus. Zu Niedersachsen gehörten damals neben Celle auch Osnabrück und das ehemals braunschweigische Landgestüt Harzburg. Weitere ostpreußische Pferde kamen an, einige der Hengste wurden dann auch für Hannover anerkannt. Klangvolle Namen wie Lateran, Abglanz oder Semper Idem waren darunter. Wie schon nach dem 1. Weltkrieg erfuhr die Pferdezucht direkt nach Kriegsende einen rasanten Aufschwung: 1947 erreichte die Zahl der Bedeckungen mit 35.000 einen neuen Rekordstand. Gründe waren zum einen die Benzinknappheit, zum anderen waren Pferde zu dieser Zeit auch als Schlachttiere gefragt. Es war ein kurzer Aufschwung: 1948 mit der Währungsreform konnten die Deckgelder nicht mehr bezahlt werden. Ein Rückgang um 42 Prozent war die Folge. Mit der Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 brachen mit Mecklenburg und Pommern zudem weitere Absatzmärkte weg.

Die ersten Auktionen

Ein bis heute erfolgreiches Novum fiel dennoch in diese krisengebeutelte Zeit: 1948 fand die erste Verdener Verkaufsschau und 1950 die ersten Auktionen statt. Damit sollte der Handel belebt und gutes Zuchtmaterial im Land gehalten werden. Krise im Wirtschaftswunder. In den 60er Jahren lösten sich Bad Harzburg und Osnabrück ganz auf; die übrig gebliebenen Hengste gingen nach Celle. 1960 hatte die Zahl der Bedeckungen ihren Tiefststand erreicht. Die enorme Schrumpfung des Bestandes brachte jedoch auch eine Selektierung mit sich. Durch den neuen Landstallmeister Christian Freiherr von Stenglin erfolgte eine Konsolidierung des Hannoveranertyps zu mehr Adel. Hannover war führend im gesamten deutschen Gebiet. Weitreichende Veränderungen des Zuchtziels gab es seit 1960 nicht mehr. Der Bedarf an Arbeitspferden tendierte gegen null und auch wenn im Zuge des Wirtschaftswunders – etwas zeitverzögert – wieder Stabilität in den deutschen Reitpferdemarkt gekommen war, wanderten viele ehemalige Zuchtstuten zum Schlachter. Reiten wurde erst als Prestige-, dann mehr und mehr als Breitensport ausgeübt. Schon ab 1950 war die reiterliche Ausbildung auch auf dem Gestüt immer weiter in den Vordergrund gerückt. 1978 erfolgte die Reglementierung des Berufes „Pferdewirt“. Das Landgestüt wurde zum Lehrbetrieb. Die Einführung der künstlichen Besamung erleichterte den Besamungsbetrieb. Erste Versuche erfolgten. 1968; 1973 wurden erst in Celle, dann auch in verschiedenen Deckstellen Besamungsstationen eingerichtet.

Hengstprüfungsanstalt Adelheidsdorf

Das wichtigste Großprojekt nach 1960 war die neu erbaute Hengstprüfungsanstalt in Adelheidsdorf, die 1975 bezogen wurde. Unter Landstallmeister Dr. Burchard Bade (1979) hatten sich die Bedeckungen seit 1960 fast wieder vervierfacht, und das trotz der immer größer werdende Konkurrenz durch die Privathengsthalter, deren Hengstanteil von früher 10 auf etwa 50 Prozent gestiegen war. Bade legte zudem den Grundstein der bis heute erfolgreichen Zusammenarbeit mit der Georg-August-Universität Göttingen und der tierärztlichen Hochschule in Hannover (Verhaltensforschung, Leistungsprüfungswesen). Mit dem legendären Beschäler Weltmeyer (Bundeschampion der dreijährigen Hengste) und Brentano II (Platz 4 bei den vierjährigen Hengsten) betraten 1987 erstmals Landbeschäler die öffentliche Turnierbühne und eröffneten damit die Ära der Celler Hengste im Sport. Übrigens: Der heutige Landstallmeister Dr. Axel Brockmann, der 2008 Dr. Burchard Bade ablöste, ist der erst 18. in 282 Jahren! Damit beträgt die durchschnittliche Dienstzeit seiner Vorgänger 16 Jahre – und auch hieran wird deutlich: Beständigkeit ist ein wichtiges Erfolgsrezept in Celle. [/ihc-hide-content][/vc_column_text][vc_column_text]© Ausgewählte Hengste Deutschlands 2012/13, Elisabeth K. Ponader [/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]