Oldenburgs Weissena – Dynastie: Quelle der Qualität (Teil 1)
Der Mutterstamm der Weißena verkörpert das „Tafelsilber“ der Oldenburger Zucht. Das Beispiel der Weißena-Dynastie, die untrennbar mit dem Namen Schweers verbunden ist, zeigt, mit welch einer Passion Pferdezucht über Generationen in einer bäuerlichen Familie betrieben werden kann.
Weissena - Fruchtbarkeit und Langlebigkeit
Das Oldenburger Pferdezentrum Vechta feierte 2012 einen Goldenen Oktober mit einer Elite-Kollektion, die es in sich hatte: 200.000 Euro war den Totilas-Besitzern Paul Schockemöhle und Ann-Kathrin Linsenhoff das schwarzbraune Hengstfohlen Total Recall (v. Totilas-Sandro Hit-Figaro-Vollkorn xx, Z.: Dr. Jobst Hartmann, Itzehoe) wert. Die hier vorliegende Stutenfamilie der Weißena wird schon seit dem 19. Jahrhundert züchterisch gepflegt – nach dem Oldenburger Stutbuch seit 1899, nach eigenen Aussagen des heutigen Besitzers und Hengsthalters Hergen Schweers sogar seit 1846. Seit 1881 ist sie im Oldenburger Stutbuch dokumentiert. In diesem Jahr ließ E. Busch aus Dangast eine Stute von Young Wittekind unter dem Namen Weide in Oldenburg eintragen. Deren Tochter Weide II (geb. 1891, v. Capellmeister), wurde dann vom Urgroßvater Schweers im Jahre 1899 erworben. In zwölf Zuchtjahren brachte sie neun Fohlen.
Weißbuche, geb. 1901 v. Adalbert, blieb im Familienbesitz der Schweers, bevor sie 1915 an die Heeresverwaltung verkauft wurde, und setzte mit Weißlurche III (geb. 1911, v. Robust) die Weißena-Familie fort. Das letzte Fohlen war Weißenrode (geb. 1929, v. Granikus). Sie brachte in 16 Zuchtjahren zwölf Fohlen, von denen vier Stuten eingetragen und ein Hengst gekört wurden. Und das war kein Geringerer als Ludo (geb. 1947, v. Lutz), der zur damaligen Zeit einer der begehrtesten Hengste des Oldenburger Verbandes war und mit sechs gekörten Söhnen und zehn gekörten Enkeln vor der Umzüchtung eine eigene Hengstlinie hervorbrachte. Ludo stellte 1957 auf der Körung in Oldenburg sowohl den Reservesieger Lorenz als auch den Siegerhengst Lothar, der anschließend zweimal die Oldenburger Farben auf der DLG-Ausstellung vertrat und beide Male zum Siegerhengst erklärt wurde. Weißenrode IV (geb. 1940, v. Goldengel) blieb im Besitz der Familie Schweers und sollte mit ihrem letztgeborenen Fohlen die züchterische Tradition fortsetzen. 1949 wurde sie ein letztes Mal dem Hengst zugeführt. Aus der Paarung mit Folkert fiel 1950 ein Stutfohlen, das den Namen Weißena* erhielt und von der heute als Stammutter des weitverzweigten und mittlerweile international bekannten Weißena-Stammes so oft die Rede ist.
Hohe Fruchtbarkeit und Langlebigkeit zeichnete die Weißena-Familie schon vor dem Krieg aus. Aber auch danach sollte sich dieses Merkmal weiter fortsetzen. Weißena brachte in 18 Zuchtjahren 14 lebende Fohlen, bevor sie im Alter von 22 Jahren einging. Ihre älteste Tochter Weißena II (geb. 1956, v. Erbe) schenkte in 18 Zuchtjahren 15 Fohlen das Leben, von denen sieben Töchter und eine Enkelin eingetragen wurden. Insbesondere ihre Tochter, die Staatsprämien- und Elitestute Wega (v. Vollkorn xx), verbreitete sich über vier Töchter und mehrere hochklassige Sportpferde. Die Wega-Tochter Freya (v. Freiherr), die sich auch der Prädikate Staatsprämien- und Elitestute rühmen kann, hat sich als hochklassige Vererberin im Stall von Rolf-Dieter Segger-Harbers (Ovelgönne) einen Namen gemacht.
Ihr erster Sohn ist das einstige Vechtaer Auktionspferd Garanzo (geb. 1983, v. Grundstein II), der mit Markus Renzel zahlreiche S-Siege im Parcours errang. Ein weiterer Sohn ist der gekörte Rappe Lord Liberty G (geb. 1991, v. Lord Liberty), der 1995 zum Hauptprämiensieger ausgerufen wurde. Lord Liberty G ist den hohen Vorschusslorbeeren allerdings nur unzureichend gerecht geworden: Springen hätte er abstammungsgemäß können müssen, das konnte er jedoch nicht wirklich, und dressurmäßigen Beanspruchungen versagte er sich in der Jugend weitestgehend. Als Vererber war er trotz großer Chancen auf der Station Kathmann (Holtrup) eine Enttäuschung. Auch seine Söhne konnten sich züchterisch nicht durchsetzen. Allerdings war er noch 2011, immerhin schon 20-jährig, erfolgreich in S-Dressuren. Freya machte sich als Mutter diverser Sportler, abstammend von abermals Grundstein II, Ex Libris und mehrfach Landadel, einen guten Namen. Weißena III (geb. 1958, v. Orlow) hat keine weiteren Nachkommen in der Zucht vertreten.
Schafe gegen Fohlen
Von 1963 bis 1966 stand der Schimmelhengst Chronos auf der Station Meinardus im Deckeinsatz. Dieser Condor-Sohn aus der Tonika vom Vollbutaraber Jason ox hat in der hannoverschen und ostfriesischen Zucht deutliche Spuren hinterlassen und sollte sich in Zukunft für die Schimmelfarbe verantwortlich zeigen, die in den nächsten Generationen immer wieder in der Weißena-Familie auftrat. Weißena wurde gleich im ersten Jahr der Stationierung diesem Junghengst zugeführt und es fiel 1964 ein Stutfohlen, das im Oldenburger Stutbuch mit dem Namen Weißena IV eingetragen wurde. Dass Weißena IV im Familienbetrieb blieb, ist der Hartnäckigkeit von Hergen Schweers zu verdanken. Zunächst tauschte er drei Schafe gegen das Stutfohlen Weißena IV ein, welches dem Großvater gehörte, und schlug das Angebot eines Händlers aus, der am nächsten Tag 1.200 Mark bot. Weißena IV blieb bei den Schweers’ und brachte in 16 Zuchtjahren 15 Fohlen, bevor sie 1983 aus der Zucht ausschied. Sage und schreibe zehn Töchter wurden in das Oldenburger Zuchtbuch eingetragen, fast alle abstammend von Hengsten französischer Herkunft. Das erste Fohlen war die Furioso II-Tochter Wiska, deren Familienzweig jedoch nach drei Fohlen erlosch.
Dépendance auf Gut Füchtel
1970 wurde Weißine (v. Futuro) geboren, die der ehemalige Oldenburger Verbandspräsident Maximilian Graf von Merveldt erwarb. Auf Gut Füchtel, in unmittelbarer Nähe des Auktionszentrums Vechta, wurden sowohl diese Stute wie auch ihre Töchter und andere Stuten der Merveldt‘schen Zucht vorrangig an Hengste mit Oldenburger Mutterstämmen angepaart. Das begreifliche Prinzip, gerade den Junghengsten aus Oldenburger Mutterlinien eine Chance zu geben, ist voll aufgegangen. Wohingegen viele Züchter in Oldenburg skeptisch waren und in ihren züchterischen Überlegungen eher dem Spruch nachkamen, wonach der Prophet im eigenen Lande nichts gilt, hat der heutige Ehrenpräsident zukunfsweisende Weichen zu stellen vermocht. Der Weißine-Sohn Triumphator (geb. 1983, v. Titus) war der erste Siegerhengst aus Merveldt‘scher Zucht. Er ging via PSI nach Fernost, ist später kastriert worden und hat züchterisch leider gar nicht gewirkt. 1986 wurden gleich zwei Enkel der Weißine gekört: Good Future (v. Good Luck a. d. Weißella v. Pascha a. d. Weißine) und Top of Class (v. Titus). Top of Class, Sohn der Weißine III (v. Waldschütz a. d. Weißine), wurde zum Sieger ausgerufen und deckte einige Jahre in der Wesermarsch. Aus dieser Zeit resultieren mehrere hochbezahlte PSI-Auktionspferde. Später wirkte Top of Class noch einige Zeit in Sachsen-Anhalt.
Good Future wurde ebenfalls Prämienhengst seines Jahrgangs, wurde in Reitpferdeprüfungen eingesetzt und ging nach absolvierter Hengstleistungsprüfung nach Schweden, wo er sowohl züchterisch wie auch sportlich eine Musterkarriere einschlug.
Eine ganz bedeutende Vertreterin aus der Merveldt‘schen Abzweigung der Weißena-Linie ist die 1992 geborene braune Donnerschwee-Tochter Weißera geworden, die mütterliche Halbschwester zu Top of Class ist. Weißera war 1995 hochrangierte Brillantringstute, hochplatzierte Teilnehmerin der Landeschampionate 1995 und 1996 und Dritte beim Bundeschampionat 1996, wo sie als beste Stute ihres Jahrgangs besonders geehrt wurde. Später war Weißera mit Hiltrud Moormann vielfache S-Dressur-Siegerin.
Längst hat sich der „Füchteler Zweig“ des WeißenaStammes zu einer tragenden Säule im Geflecht der Oldenburger Stutenfamilien entwickelt. Auch der Auktionsspitzenreiter und zweifache Finalist beim Bundeschampionat Statesman (v. Stedinger-Donnerschwee-Titus-Waldschütz, Z.: Ann Kitchel, South Staff ord/USA) gehört dieser Linie an. Leider verlief die Karriere dieses Ausnahmepferdes, das seinerzeit in Cappeln sein züchterisches Debüt gab, in letzter Zeit nicht ganz geradlinig. Unter der Dänin Fie Christine Skarsoe hat er 2012 je drei Siege in M- und S-Dressuren erzielen können. Zum Füchteler Stamm gehört auch der Fuchshengst Rhaopsario (v. Rosario-De Niro-Furioso II-Inschallah AA-Waldschütz), der in Österreich ein gefragter Deckhengst und gleichzeitig erfolgreiches S-Dressurpferd ist.
Friesengeist: Kuriose Karriere
Bis auf zwei Töchter, nämlich Wega und Weißane, wurden alle übrigen Töchter der Weißena IV verkauft . Unter ihnen auch die 1973 geborene Inschallah AA-Tochter Wilna, die allerdings zunächst noch ein Hengstfohlen von Furioso II brachte. Dieser Fuchshengst sollte Jahre später der erste Bundeschampion des Deutschen Springpferdes werden, der das Oldenburger Brandzeichen trägt. Von Bernhard Meinardus aufgezogen, wurde dieser Fuchshengst 1978 gekört und auf den Namen Friesengeist getauft . Friesengeist war 1980 Prämienhengst in Oldenburg und absolvierte die Hengstleistungsprüfung in Adelheidsdorf kurioserweise mit unterdurchschnittlicher Springbewertung. Er war auch als Deckhengst stationiert, und zwar im Gestüt Bladenhorst (Castrop-Rauxel). Seine Nachzucht aus mehreren Jahren lässt sich allerdings bequem an zwei Händen abzählen. Erst nach dem Sieg beim Bundeschampionat wurde man verstärkt auf den Fuchs aufmerksam, der dann nach Holland und später in die USA verkauft wurde. Als Heisman beherrschte er mit Michael Matz das Geschehen internationaler Springarenen und war u. a. „Pferd des Jahres“ von Nordamerika und Olympiateilnehmer in Barcelona 1992. Eine Verletzung brachte das frühzeitige Aus für die sportliche Karriere Heismans.
Weißane (geb. 1979, v. Futuro) brachte in Butjadingen auch einige Fohlen, konnte aber nicht an die Erbkraft und Bedeutung ihrer älteren Vollschwestern Weißine und Wega heranreichen. Im Schweers‘schen Stutenbestand wurden zwei Enkelinnen prämiert: St.Pr.St. Weidenelfe (geb. 1991, v. Inselfürst) und Verb.Pr.St. Weidenfee (geb. 1993, v. Donaumonarch/T.). Beide entstammen der Weißane-Tochter Weißarella, die ihrerseits den Hannoveraner Angelino zum Vater hatte. Angelino war einige Jahre bei Hergen Schweers stationiert und nahm insofern auch einigen Einfl uss auf dessen Stutenbestand.
Hauptvererberin Wega
So wie Weißine eine Stammstute auf Gut Füchtel wurde, setzte sich insbesondere deren zwei Jahre jüngere Vollschwester Wega im Stall Schweers durch. Der Hengst spielte bei ihr nur eine untergeordnete Rolle. Mit Vatertieren verschiedenster Herkunft brachte sie Spitzen wie vom Fließband. Ihre älteste Tochter Weißgold (geb. 1976, v. Colorado AA) wurde in Bayern Mutter des gekörten Hengstes Bordolino (geb. 1984, v. Bonito xx, Z.: Dr. Hans Resch, Bad Griesbach). Bordolino war mehrfach Teilnehmer am Bundeschampionat des Deutschen Geländepferdes und verzeichnete Erfolge im gehobenen Militarysport. Mit fünf gekörten Hengstsöhnen stellt Wega eine Ausnahme in Deutschland dar: Der erste war Falstaff (geb. 1979, v. Furioso II), der 1982 in Immerwarfen deckte und dann in den Sport ging. Dieser statiöse Schimmel hinterließ nur wenige Nachkommen, darunter u. a. die Mutter des HLP-Siegers Solotänzer, und machte zunächst in Amerika Dressurkarriere. Als Wallach kehrte er nach Deutschland zurück und war mit Miriam Henschke noch über Jahre erfolgreich im Grand Prix-Sport.
Der Vollkorn xx-Sohn Vivaldi war ein Jahr jünger. Auch er trägt die Schimmelfarbe und wirkte eine Saison in Immerwarfen, ehe er ohne Hengstleistungsprüfung als Spitzenpferd über die Vechtaer Elite-Auktion 1984 verkauft wurde. Vivaldi bewahrte man allerdings die Männlichkeit und er holte die Hengstleistungsprüfung im Sport nach: Aufgrund seiner Eigenerfolge ist er seit einigen Jahren wieder im Deckeinsatz. Zunächst im Rheinland bei Dr. Ursula Mittermayer stationiert, wirkte er 1996 pachthalber in Butjadingen bei seinem Züchter Hergen Schweers und hat später bei Familie Döpke in Rahden sein letztes Zuhause gefunden. Vivaldi war noch im hohen Alter ein Hengst von bestechender Ausstrahlung, der sein Publikum stets zu begeistern wusste.
Von dem Furioso II-Sohn Falkner, den Hergen Schweers einige Jahre eingesetzt hat, stammen die 1983 und 1984 geborenen Vollbrüder Falkonet und Friesenfürst, die züchterisch jedoch nicht zum Einsatz kamen. Anders dagegen der jüngste gekörte Wega-Spross, nämlich Inselfürst. Der unerhört bewegungsstarke Inschallah AA-Sohn begeisterte anlässlich seiner Hengstleistungsprüfung, wo er Gesamtzweiter war. Er war Oldenburger Landesmeister in der Dressur und ging unter Hiltrud Moormann erfolgreich S-Dressuren. Seine Kinder haben sich als vielseitig talentiert erwiesen. Unvergessen ist das Pas de Trois der drei gekörten Schimmelbrüder Falstaff , Vivaldi und Inselfürst beim Galabend in Vechta im Frühjahr 1992. Apropos Galaabend: Anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Verbandes der Züchter des Oldenburger Pferdes im Vorfeld der Frühjahrsgala im Jahr 1998 stieg Hergen Schweers, verkleidet als Graf Anton-Günther zu Oldenburg, selbst in den Sattel von Inselfürst, der seinerseits als Anton-Günthers Paradeross Kranich herausgeputzt war. Noch 2012 war Inselfürst 26-jährig bei Familie Schweers im Deckeinsatz. Vivaldis ein Jahr jüngere Vollschwester Wega Weißena, wie ihre Mutter und so viele weitere Vertreterinnen dieses Stammes mit der Staatsprämie ausgezeichnet, brachte zunächst zwei Falkner-Töchter, nämlich Wenke Weißena und St.Pr.St. Weißa, die 1989 Reservesiegerin der Elite-Schau in Rastede war. Beide haben ihrerseits wieder erfolgreiche Nachzucht im Stall Schweers vorzuweisen. Mit der Angelino-Tochter Wega Weißella stellte Wega Weißena eine weitere Staatsprämienstute.
© Dieser Auszug basiert auf einem Beitrag von Claus Schridde, der im Sammelwerk „Ausgewählte Hengste Deutschlands 2014/15“ erschienen ist.