Zuchtwertschätzung & Anpaarungsempfehlungen

Die Zuchtwertschätzung ist eine feste Größe zur Selektion und Auswahl des Zuchthengstes.  Welche Bedeutung diese Zuchtwerte haben, wie sie kalkuliert und abgebildet werden, hat HfWU-Dozent Prof. Dr. Stanislaus von Korn im Web-Talk »Zuchtwertschätzung: Daten kennen, erfolgreich züchten!« verraten. Eine Zusammenfassung der Inhalte haben wir für Sie als Horse-Gate-Exclusive-Mitglied erstellt. Erbanlagen sind die Basis für Gesundheit, Leistung, Exterieur und Kondition eines Pferdes. So gilt es in der Zucht die jeweiligen Leistungsveranlagungen eines Zuchttieres möglichst sicher zu erkennen, um erwünschte Anlagen weiter zu fördern. Dazu werden in der Pferdezucht Leistungs- und Sportprüfungen durchgeführt aus denen wiederum im Rahmen recht aufwendiger Verfahren Zuchtwerte abgeleitet werden. Solche Zuchtwertschätzungen stellen das Herzstück der Zucht dar, da diese einen bestmöglichen Einblick in die erbliche Veranlagung eines Zuchttieres geben. Ohne entsprechende Leistungsdaten und Zuchtwerte würde ein Hengst einer unbekannten Black Box gleichen. Aber die vielfältigen Zuchtdaten müssen auch verstanden und interpretiert werden können, um daraus die richtigen Entscheidungen für die eigene Zucht ableiten zu können.

Die Bedeutung des Zuchtwertes

Der Zuchtwert gibt also Auskunft über die genetische Veranlagung eines Dressur- oder Springpferdes. Diese ist aber nicht direkt an der beobachteten Leistung zu erkennen. [ihc-hide-content ihc_mb_type="show" ihc_mb_who="4,3" ihc_mb_template="3" ] „Daher ist die Zuchtwertschätzung die beste objektive Grundlage für die Selektion von Zuchttieren.“, hält Stanislaus von Korn fest. Die messbare Leistung (z.B. aus Leistungs- oder Sportprüfungen) resultieren aus der erblichen Veranlagungen (Genotyp= Zuchtwert) und den jeweiligen Umwelteinflüssen. Umwelteinflüsse sind alle nicht genetischen Effekte, die sich auf die Leistung des Tieres auswirken wie z.B. das Alter des Pferdes, die Qualität des Reiters, die Saison und natürlich die Aufzucht, das Training oder auch die Ausbildung des Pferdes. [caption id="attachment_217867" align="alignnone" width="779"] Abbildung 1 zeigt die phänotypische (messbare) Leistung. Graphik: Stanislaus von Korn[/caption]

Kalkulation und Darstellung des Zuchtwertes

Bis zum Jahr 2015 wurde im Rahmen einer integrierten Zuchtwertschätzung nur ein Zuchtwert (ZW) aus allen vorliegenden Leistungs- und Sportprüfungen kalkuliert – jeweils für die Disziplin Dressur und die Disziplin Springen. Seit 2016 liegen die Zuchtwerte differenzierter geschätzt: ZW aus der Jungpferdeprüfung, die vergleichsweise früh vorliegen und ZW auf der Grundlage der Turniersportergebnisse, die erst im späteren Alter der Pferde anfallen. Seit 2019 wird außerdem ein ZW HEK (Höchste Erreichte Klasse) ausgegeben, der auch die Ergebnisse internationaler Turniere mit einbezieht. [caption id="attachment_217869" align="alignnone" width="787"] Kalkulation und Darstellung von Zuchtwerten in der Reitpferdezucht seit 2016. Graphik: Stanislaus von Korn[/caption] Die Zuchtwertschätzung selbst wird mittels eines mathematisch-statistisches Verfahren durchgeführt, das sich BLUP (best linear unbiased prediction) nennt. Auf Deutsch heißt das beste lineare unverzerrte Schätzung. Und wie es der Begriff schon deutlich macht, eine beste unverzerrte Vorhersage des Zuchtwertes möglich macht. Eine solche optimierte und genaue Schätzung des Zuchtwertes gelingt im Rahmen des BLUP-Verfahrens durch zwei Schritte:
  1. Neben den eigenen Leistungsdaten, werden auch die Leistungsergebnisse aller verfügbaren Verwandten Pferde mit einbezogen
  2. Alle feststellbaren Umwelteinflüsse werden bestmöglich in ihrer Wirkung auf die gemessene Leistung berücksichtigt und weitest möglich ausgeschaltet
So spricht die FN davon, dass dieses ausgeklügelte Gesamtkonzept der Zuchtwertschätzung bestehend aus Leistungs- und Sportprüfungen und der Kalkulation differenzierter Zuchtwerte (Dressur und Springen) heute das modernste Verfahren weltweit darstellt. Die Darstellung von Zuchtwerten geschieht für die Hengste anhand sogenannter Relativzuchtwerte auf einer Basis von 100. D.h. 100 entspricht dem Mittelwert der Leistungen aller geprüften Pferde, wobei Abweichungen nach unten oder oben eine unterdurchschnittliche bzw. überdurchschnittliche Veranlagung ausweisen. Die dahinter angegebenen %-Werte spiegeln die Sicherheit wieder mit der die jeweiligen Zuchtwerte geschätzt werden konnten. [caption id="attachment_217871" align="alignnone" width="804"] Die Darstellung der Zuchtwerte von Reitpferden sieht so aus. Graphik: Stanislaus von Korn[/caption]

Von Einzelmerkmalen und weiteren Zuchtwerten

In den einzelnen 3 Zuchtwerten, die für Dressur- und Springpferde kalkuliert werden, gehen folgende Einzelmerkmale ein:
  • Jungpferdeprüfung: Noten aus den Zuchtprüfungen (HLP, ZSP, VA, Sportprüfung) à Schritt, Trab, Galopp, Rittigkeit, Frei- und Parcoursspringen
  • Turniersportprüfung (national): Starts bzw. Rangierungen bei deutschen Turnieren bis Klasse S
  • HEK: die Höchste Erreichte Klasse bei nationalen und internationalen Turnieren
Die viel seltener beachteten Zuchtwerte von Stuten berechnen sich genauso wie die Zuchtwerte der Reitpferdehengste. Heute werden auch Zuchtwerte aus den Leistungsprüfungen (HLP, VA, ZSP) vor. „Sie ersetzen Noten, um Prüfungsbedingungen wie z.B. das Niveau der teilnehmenden Pferde besser zu berücksichtigen.“, erklärt Stanislaus von Korn. Langfristig wünscht er sich dringlich auch Zuchtwerte für Gesundheitsparameter oder für das Interieur. Letzteres hat für den Freizeitsport besondere Bedeutung. Interessant ist, dass einige Zuchtverbände noch weitere Zuchtwerte schätzen. Als Beispiel nennt Stanislaus von Korn den Holsteiner Verband, der auch Zuchtwerte für die Bereiche Fohlen- und Stutenbeurteilung ausgibt. Beim Fohlen stehen dabei Typ/ Gebäude sowie Gang / Schwung im Mittelpunkt. Bei der Stutenbeurteilung werden Typ, Oberlinie, Vorhand, Hinterhand, Grundgangarten und Schwung in den Fokus gerückt. Bei der Zuchtstutenprüfung müssen die Stuten in Schritt, Galopp, Rittigkeit und Freispringen überzeugen. Zuchtwerte können letztlich für zahlreiche Merkmale geschätzt werden. Wichtig dabei ist nur, dass diese zu bewertenden Merkmale eine hinreichende Erblichkeit (Heritabilität) aufweisen und auch mit nicht zu hohem Aufwand erfassbar sind.

Bedeutung des Zuchtwertes für die Hengstauswahl

„Die wichtigste Frage vor der Auswahl eines passenden Hengstes ist, ob das Fohlen für die eigene Nutzung oder für den Verkauf gedacht ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage, ob man auf einen Top- oder Modehengst setzt oder man einen Nischenhengst ins Auge fasst mit dem sich das Fohlen von der großen Masse absetzen könnte“, betont Stanislaus von Korn vorab. Immer ist es elementar möglichst viele Informationen zu den in die engere Auswahl kommenden Hengsten einzuholen. Hier reicht es nicht nur auf die Zuchtwerte zu schauen. Dazu gehören vor allem:
  1. Genetische Besonderheiten: Farbe/ Scheckung, aber auch Erbfehler wie WFFS
  2. Abstammung/Pedigree
  3. Leistungsdaten: Zuchtwerte, HLP, VA, ZSP, etc. Darunter fallen u.a. auch Einzelveranlagungen, Grundgangarten, Rittigkeit.
  4. Exterieur: Hierbei können vorliegende Ergebnisse aus der Linearen Beschreibung nützlich sein.
  5. Sport- und Zuchterfolge des Zuchttieres und seiner Verwandten und Nachkommen. Dazu gehören gekörte Söhne und prämierte Stuten. Relevant sind auch die internationalen Ranking (WBFSH) und das Abschneiden bei den Championate (z.B. Landes- oder Bundeschampionate).
  6. Auszeichnungen: Prämierungen wie Prämien- / Elitehengst, Prämien-/ Elitestute
Einsehbar sind all solche Ergebnisse im Jahrbuch der Hengste „Ausgewählte Hengste Deutschlands“ sowie im Hengstverzeichnis von Horse-Gate – darunter auch die Ergebnisse der HLP und die Erfolgsdaten. „Wichtig ist aber auch immer die eigene Betrachtung“, betont Stanislaus von Korn. „Der Hengsthalter selbst, die Zuchtverbände sowie Kör- und Auktionskataloge geben zwar wertvollen Aufschluss über den Hengst. Aber diese Daten und Hinweise ersetzen nicht, sich den Hengst einmal persönlich anzuschauen, z.B. live bei einer Hengstvorstellung oder besser noch ihm in der Box mal in die Augen zu schauen.“

Was die Stute mitbringen soll

Im Zuge der Hengstauswahl für die Zuchtbenutzung unserer Stute müssen wir aber auch die Stute bzgl. ihrer Gesundheit, Typ, Temperament und Leistungsveranlagung einschätzen. [caption id="attachment_217875" align="alignnone" width="815"] Abbildung 4 zeigt, was vor dem Einsatz der Stute in der Zucht und für die Hengstauswahl zu beachten ist. Graphik: Stanislaus von Korn[/caption] Die Stute sollte in einem Zuchtbuch eines Zuchtverbandes eingetragen sein, sich allgemein in guter Kondition befinden, geschlechtsgesund (Tupferproben!) und im günstigen Zuchtalter zwischen 4-12 Jahren sein und keine Erbfehler aufweisen. Dann stellt sich die Frage, welcher Hengst passt zum Exterieur, Typ, Temperament und Bewegungsvermögen meiner Stute. Im Rahmen des echten Züchtens heißt es: mit ähnlichen Hengsten die Schwächen der Stute verbessern, um dem Zuchtziel von Generation zu Generation näher zu kommen. Zucht ist eben immer ein Weg über Generationen! Natürlich wird auch oft gern mal experimentiert und ein Hengst ganz anderen Schlages eingesetzt. Das ist aber doch auch riskant, da die nicht immer gegebenen Passerfähigkeiten von Stute und Hengst zu weniger attraktiven Nachzucht führen können. Die erfahrenen Züchter haben für ihre Stuten meist ein ´Auge` entwickelt, können deren Stärken und Schwächen einschätzen und finden in dem meist großen Angebot an Mode- oder Nischenhengsten, an Hengsten aus verwandten oder unverwandten Linien (Linienzucht!)  sowie unter den blut- oder weniger blutgeprägten Hengsten recht bald einen passenden Vererber. Aber es bleibt bei jeder Anpaarung immer wieder hochspannend was aus die gewählte Kombination von Stute und Hengst hervorbringen wird.

Fazit

Die aufwendig abgeleiteten Zuchtwerte sind ein entscheidendes Selektionskriterium in der Zucht für die Disziplinen Dressur und Springen. Für die finale Auswahl eines Hengstes zur Anpaarung benötigt der Züchter aber detailliertere Informationen und sollte sich selbst ein Bild vom Hengst und idealerweise auch von dessen Nachkommen machen. Wesentlich für den Zuchterfolg ist auch, dass der Züchter seine Stute in Bezug auf ihre Stärken und Schwächen, ihr Temperament und Leistungsvermögen einschätzen kann.

Der Autor und Experte

Prof. Dr. Stanislaus von Korn unterrichtet und erforscht seit über 25 Jahren die Fachgebiete Tierzucht sowie Pferdezucht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Über mehrere Jahre war er zudem Studiendekan für Agrarwirtschaft an der HfWU. In dieser Zeit entwickelte Prof. v. Korn den in Deutschland ersten Bachelor-Studiengang Pferdewirtschaft, der seit 2009 erfolgreich angeboten wird. Im Rahmen der Weiterbildung Pferd bietet Prof. Dr. Stanislaus v. Korn den Kurs "Pferdezucht und Exterieurlehre" an der Hochschule an, in dem in 12 Modulen grundlegendes und detailliertes Wissen zu allen Bereichen der Pferdezucht praxisnah vermittelt wird. [/ihc-hide-content]