Vererbung – Die Weiberherrschaft (Teil 2)

Verhalten wird kopiert

Das ist noch nicht alles. Bereits im Jahr 1938 fanden die Tierzuchtwissenschaft­ler Arthur Walton und John Hammond heraus, dass Stuten auch die Größe des Fohlens bestimmen, indem sie entsprechende Stoffwechselprodukte produzieren, welche die Größe des Fötus begrenzen können. Für ihre Studie kreuzten sie Shire-Horses und Shetlandponys miteinander. Die Fohlen aus den großen Stuten und den kleinen Hengsten hatten bereits bei der Geburt ein deutlich höheres Körpergewicht und wurden auch später größer als die Fohlen aus den kleinen Stuten und den großen Hengsten. Ähnlich verhält es sich seit jeher bei Hybriden aus Pferd und Esel. Das Maultier ist von der Größe und vom Exterieur seiner Pferdemutter ähnlicher, der Maulesel hingegen seiner Eselsmutter. Bei Genetik und pränatalen Einflüssen hört die Weiberherrschaft­ aber noch lange nicht auf. Auch nach der Geburt geht es weiter. „Die Erziehungszeit nach der Geburt ist von großem Einfluss auf die Verhaltensmuster des Fohlens im späteren Leben“, sagt Hans-Eberhard Schneider. Artur Landes sieht das ähnlich, verweist dabei jedoch gleich wieder auf die Genetik: „Fohlen werden durch ihre Mutter im Verhalten sehr geprägt. Oft­ haben ranghohe Mütter auch ranghohe Fohlen – was natürlich auch dem genetischen Pool der Mutter zuzurechnen ist. Wir stellen immer wieder fest, dass soziale Faktoren zwar einen bedeutenden Einfluss haben. Den genetischen Anteil sehen wir jedoch als bedeutender an.“ Diesen Einwand hat auch Prof. Dr. Aurich. Die genetischen Faktoren solle man bei aller Liebe zur Verhaltenslehre nicht unterschätzen. Neuere Untersuchungen an Leihmüttern und deren über Embryonentransfer entstandenen Fohlen haben gezeigt, dass selbst Charakter und Persönlichkeit eines Pferdes stark von der Genetik geprägt werden. „Die Leihmutter hat zunächst eine gewisse Vorbildfunktion“, erklärt die Veterinärwissenschaft­lerin. „Langfristig sieht man aber, dass die genetischen Einflüsse immer wieder durchkommen.“ Am Ende dominiert die Genetik Im Schweizer Nationalgestüt in Avenches grast eine eigene Herde von Freiberger-, Warmblut- und Traberstuten, um fremde Embryonen auszutragen – und zu Forschungszwecken. Die Besitzer der Transfer-Nachkommen werden regelmäßig nach den Eigenschaft­en ihrer Pferde gefragt. Sie sollen Nervosität, Sozialverhalten und Bewegungsdrang der Tiere bewerten. Dabei kam heraus, dass emotionale Qualitäten und Herdentrieb kaum von der Leihmutter beeinflusst werden. Die für ein Sportpferd entscheidende Bewegungsfreude ist zu zwei Dritteln genetisch festgelegt, also von der Mutter vererbt. [ihc-hide-content ihc_mb_type="show" ihc_mb_who="4,3" ihc_mb_template="3" ]„Der Einfluss der Empfängerstute scheint minimal zu sein“, sagt der Veterinärmediziner Dominique Burger, zuständig für die züchterischen Belange in Avenches. Ähnliche Ergebnisse hätten auch die Arbeiten des britischen Forschers William Allen erbracht. Er hatte einer Pferdestute einen Zebra-Embryo eingepflanzt. Das kleine Zebra ließ sich von seiner braven Pferdeleihmutter nicht beeindrucken und war vom Tag seiner Geburt an ein unzähmbares Wildtier. Auch Artur Landes glaubt, dass Leihmütter zwar vorübergehend Einfluss auf ein hibbeliges Fohlen haben können. Ob dieser Einfluss nach dem Absetzen jedoch bestehen bleibt, bezweifelt er. Tobias Galmbacher erlebt regelmäßig, dass Jungpferde nach dem Absetzen ein Verhalten entwickeln, bei dem die genetischen Anlagen deutlich zum Tragen kommen. „Das habe ich gerade bei einer zweijährigen Jungstute erlebt, die wahrlich typische Verhaltensweisen ihres Vaters an den Tag legt – den sie nie gesehen hat und von dem sie etliche Hunderte Kilometer entfernt aufgewachsen ist. Als mir ihre Züchter das schilderten, freute mich das natürlich. Es hieß: Es hat mit der Anpaarung gepasst, denn es waren die guten Eigenscha­ften unseres Hengstes gewesen.“

Die Auswahl einer guten Zuchtstute

[caption id="attachment_206417" align="alignleft" width="301"] Tobias Galmbacher mit seiner Frau
Dr. Katja Galmbacher und Sohn Tom © Jan Reumann[/caption] Aus all diesen Gründen ist es so wichtig, bei der Pferdezucht auf die Auswahl der Stute zu achten. Die internationale Männergesellschaft­ hat vor allem unter Amateurzüchtern für die sehr verbreitete Auffassung gesorgt, dass in erster Linie der Hengst für eine gute Nachzucht sorgt. Tatsächlich kommt es aber mehr auf die Stute an – Galmbacher schreibt ihr inklusive aller genetischen und sozialen Faktoren 60 Prozent des Vererberpotentials zu, Landes erhöht auf 65 Prozent und Schneider gar auf 70. Dabei weist Artur Landes darauf hin, dass auch das beste Fohlen ohne fachgerechte Aufzucht und guten Reiter nur die Häl­fte seiner Leistung bringen kann und andersherum ein guter Reiter auch schlechtere Jungpferde unheimlich pushen kann. Auch diese Faktoren tragen dazu bei, dass es nirgends so viele Ausnahmen von den gesagten Einschätzungen gibt wie im Pferdezucht- und Sportbereich. Neben ihrem Gebäude, ihren Leistungen und ihrem Verhalten sollte eine Zuchtstute auch nach ihren weiteren mütterlichen Eigenschaft­en ausgewählt werden. Dazu gehören zum Beispiel die nachgewiesene Fruchtbarkeit und eine hohe Laktationsleistung. Auch das Volumen der Gebärmutter spielt eine Rolle. Wie bereits erwähnt, bekommen kleine Stuten auch kleine Fohlen. Außerdem ist das erste Fohlen einer Stute meist kleiner als die nächsten. Auch ein hohes Alter der Stute bedinge häufig „mickerige Fohlen“, so Prof. Dr. Aurich. Womöglich sorgen auch in diesem Fall biochemische Vorgänge in der Stute dafür, dass das Fohlen nicht mehr zu groß gerät. Wichtig ist außerdem, dass eine Stute gezielt als Zuchttier ausgesucht wird und nicht wegen Krankheit oder einer geplatzten Karriere als Sportpferd in die Mutterrolle gedrängt wird. Zahlreiche Krankheiten wie die Neigung zu Gelenkchips, Hufrolle, Spat, Dämpfigkeit, Kehlkopfpfeifen und Sommerekzem schließen Stuten eigentlich von der Zucht aus, da sie zumindest als Veranlagung an die Fohlen weitergegeben werden können. Absolut ungeeignet für die Zucht sind Stuten mit Erbdefekten (siehe Seite 490). Abschließend ist zu sagen, dass eine erfolgreiche Anpaarung letztendlich immer von beiden Elternteilen abhängt. Auch die beste Stute wird mit einem mittelmäßigen oder schlechten Hengst kaum eine überzeugende Nachzucht liefern. Stutenbesitzer tun deshalb gut daran, beim Betrachten ihres zukün­ftigen Muttertiers die rosa Brille abzunehmen und sich über Zuchtkriterien, Vererbung und Hengstauswahl schlau zu fragen. Ist einmal der perfekte Mann zum Superweib gefunden – dann macht Züchten erst richtig Spaß.             [caption id="attachment_206419" align="alignleft" width="450"] Darstellung einer tierischen Zelle. Im Zellkern (Mitte) benden
sich die Chromosomen. Die Mitochondrien (blaue Ovale) haben
im Inneren eine zweite Membran und tragen ebenfalls DNA. © iStackphotons / istockphoto.com[/caption] Chromosomen sind Strukturen im Zellkern aller Lebewesen, die das Erbgut enthalten. Sie bestehen aus DNA und – als Grundbaustein – aus Proteinen. Pferde haben 64 Chromosomen in einer normalen Körperzelle. Dabei handelt es sich um 32 paarweise vorhandene Chromosomentypen. Teilt sich eine solche Zelle während einer Wachstumsphase, so verdoppeln sich zuvor sämtliche Chromosomen. Die beiden Tochterzellen erhalten wieder je einen gesamten Satz. Das nennt sich Mitose. Anders verhält es sich bei der Meiose, der Reifeteilung. Hier wird der Chromosomensatz halbiert. Eizelle und Spermazelle tragen beim Pferd also jeweils einen haploiden (einfachen) Chromosomensatz. Verschmelzen die Zellen bei der Befruchtung miteinander, so entsteht wieder ein diploider (doppelter) Satz. DNA ist die Kurzbezeichnung für Desoxyribonukleinsäure. Sie ist die Trägerin der Gene, also der Erbinformationen. Bei allen Menschen, Tieren und Pflanzen befindet sich der Hauptteil der DNA in den Chromosomen. Ein kleiner Teil davon sitzt jedoch in den Mitochondrien und – bei Pflanzen – in den Chloroplasten. Mitochondrien kommen in den Zellen aller Lebewesen vor. Sie fungieren als Energiekra­ftwerke, da sie der Zelle energiereiche Moleküle zur Verfügung stellen. Besonders viele Mitochondrien befinden sich deshalb in Muskel- und Nervenzellen mit hohem Energieverbrauch. Da sie im Plasma schwimmen, werden sie bei der Befruchtung fast ausschließlich von der großen, plasmareichen Eizelle weitergegeben. Die wenigen aus der Spermazelle importierten Mitochondrien werden zum Großteil von der befruchteten Eizelle eliminiert. Gene sind jeweils bestimmte Abschnitte der DNA. Labortests können herausfinden, ob ein Pferd ein bestimmtes Gen trägt oder nicht. Die Zustands- oder Ausprägungsform eines Gens wiederum wird als Allel bezeichnet. So kann ein Allel zum Beispiel „normal/gesund“ oder „mutiert“ sein. Ist ein Organismus also homozygot, so liegen zwei gleiche Allele vor. Ist er heterozygot, gibt es zwei verschiedene Allele. Rezessive und dominante Erbgänge treten bei der Vererbung einer bestimmten Eigenscha­ft auf. Eine dominante Eigenschaft­ setzt sich gegenüber der rezessiven durch. Damit eine Krankheit rezessiv vererbt wird, muss die Anlage dafür (das Allel) sowohl von der Stute als auch vom Hengst weitergegeben werden. Nur dann bricht die Krankheit beim Fohlen aus. Die Chance dafür liegt bei 25 Prozent. Gibt nur ein Elternteil die Anlage weiter und das andere liefert ein „gesundes“ Nicht-Träger-Chromosom, so trägt das Fohlen die Krankheit zwar weiter, doch sie bricht bei ihm selbst nicht aus. Das passiert in 50 Prozent der Fälle. Ebenso kann es geschehen, dass das Fohlen von beiden Eltern ein Nicht-Träger-Chromosom erhält und damit gänzlich gesund ist. Die Chance dafür liegt wieder bei 25 Prozent. Bei einem dominanten Erbgang sieht die Sache etwas anders aus. Wird eine Krankheit dominant vererbt, so ist bereits ein einfacher Anlageträger von ihr betroffen. In einem solchen Fall bringt das betroffene Tier selbst in Verbindung mit einem gesunden Partner zu 50 Prozent Mutationsträger, also ebenfalls kranke Tiere, hervor. Gentests können klären, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, aus einer bestimmten Stute und einem bestimmten Hengst ein gesundes oder krankes Fohlen zu erhalten. Wie bereits erwähnt steigt bei kranken Eltern und dominanten Erbgängen die Wahrscheinlichkeit auf eine Mutationsvererbung signifikant an.     [/ihc-hide-content] © Dieser Auszug basiert auf einem Beitrag von Regina Käsmayr, der im Sammelwerk „Ausgewählte Hengste Deutschlands 2016/17“ erschienen ist.