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  • Grönwohldhof und Donnerhall (Teil 1)

    Grönwohldhof und Donnerhall (Teil 1)

    Selten schreibt das Leben Geschichten, in denen sich alles so perfekt in einander fügt, in denen sich großartige Protagonisten so wunderbar ergänzen wie in dieser. Und nur selten hatte eine Verbindung so nachhaltigen Einfluss auf Dressur und Zucht wie die von Ausnahmehengst Donnerhall, Karin und Herbert Rehbein und dem Grönwohldhof. Es ist eine Geschichte, die auf drei Säulen steht, drei Säulen der Superlative: zum Ersten Donnerhall, ohne den die Dressurpferdezucht seit Jahrzehnten nicht denkbar wäre. Ein Hengst, der schon zu Lebzeiten eine Legende war und der bis heute, zumindest genetisch, auf den großen Vierecken der Welt präsent ist. So ist Enkelin Weihegold OLD Weltranglistenerste aktuell 2017 und sein Enkel Desperados FRH Weltranglistenzweiter. Dieser Hengst ziert auch das Titelbild unseres Buches. Für die Olympischen Spiele in London stellte Donnerhall fast die gesamte deutsche Mannschaft. Damon Hill NRW, Desperados FRH, Diva Royal und Dablino bildeten das Team – alles Kinder und Enkel von Donnerhall. Zum Zweiten: Das Ausbilderpaar Karin und Herbert Rehbein, das für den nicht nur züchterisch, sondern auch sportlich hocherfolgreichen Hengst seinerzeit zuständig war. Herbert Rehbein galt als genialer Ausbilder, seine Frau feierte mit Donnerhall große Erfolge. Zu den Rehbeins pilgerte in den 1980erJahren fast die gesamte Reiterelite. Aus Finnland, aus den USA, von den Bermudas, von überall her zog es Topreiter auf den Grönwohldhof, auf dem die beiden Koryphäen ausbildeten und auf dem Donnerhall aufwuchs. Und auch die legendäre Reitanlage, die zu ihrer Zeit alles bisher Bekannte in den Schatten stellte, erreichte neue Dimensionen. Sie ist der dritte Superlativ in dieser Geschichte.

    Ingo Pape und Herbert Rehbein

    Herbert Rehbein im Sattel des Oldenburgers Pascha beim CHI Berlin, 1986 © Jacques Toffi

    Herbert Rehbein hat Reiterleben verändert. Einer seiner bekannteren Schüler war Ingo Pape, der Donnerhall 1986 zum DLG-­Champion führte. Heute ist Pape selber Züchter und Ausbilder in Hemmor. Diese Karriere verdankt er auch einem Zufall, einem spontanen Stimmungsumschwung. Denn eigentlich wollte er als 14­-Jähriger an jenem heißen Sommertag, an dem er seinem künftigen Chef begegnen sollte, ins Freibad gehen. Spontan entschied er, seinen Vater zu begleiten und zu einem Kunden mitzufahren, dem er bereits gute Pferde verkauft hatte. Der junge Ingo machte sich nicht so viel aus Pferden, er sprang ein bisschen, aber so richtig hatte die Leidenschaft ihn nicht gepackt. Das änderte sich, als er mit seinem Vater auf dem Grönwohldhof ankam. Er sah die gigantische Anlage – „ich kannte damals nur Bauernhöfe mit Halle, nicht so etwas!“ – und sagte spontan: „Hier will ich mal arbeiten!“ Der Vater schickte ihn zu Herbert Rehbein, der gerade auf dem Pferd saß. „Ich lief hin und fragte: ‚Kann ich hier arbeiten?’, ich hatte ja keine Ahnung, was das für eine Koryphäe war!“, erzählt Ingo Pape heute. Rehbein lachte, ritt zu Ende, und sagte dann: „ Ingo komm’ mal her.“ Der Junge sollte ohne Bügel das Pferd reiten. „Eine viertel Stunde lang gab er mir Unterricht, und dann sagte er: „Mach mal die Schule zu Ende, und wenn du in einem halben Jahr noch willst, dann kannst du anfangen.“ So geschah es. Herbert Rehbein wurde sechs Jahre lang sein Chef, bis zur Meisterschule. Alle ersten Male im Sattel erlebte er hier: auf Kandare reiten, Wechsel reiten. „Das war die prägendste Zeit in meinem Leben. Wie oft ich heute noch an diesen Mann denke, das ist nicht normal! Wenn ich auf dem Pferd sitze und irgendwas nicht hinkriege, überlege ich, was hätte er jetzt gesagt?“ Ingo Pape lernte während dieser Zeit am Grönwohldhof auch seine Frau, die ebenfalls dort arbeitete, kennen. [ihc-hide-content ihc_mb_type=“show“ ihc_mb_who=“4,3″ ihc_mb_template=“3″ ]Das Team war besonders, sagt er. „Wir haben uns zu 105 Prozent mit diesem Laden identifiziert. Zu seiner Zeit waren auch Reinhard Nielsen und Harald Cornellissen dort, Stallmeisterin war Martina Hannöver, alles Leute, die heute als Berufsreiter in ihrer Branche das weitergeben, was sie dort gelernt haben. Ingo Pape ist sich sicher: „Wäre ich an diesem Tag zum Schwimmen gefahren, wäre mein ganzes Leben anders verlaufen.“

    Abnormale Fähigkeiten im Sattel

    Herbert Rehbein wird von seinen Zeitgenossen als genialer Reiter beschrieben. „Das Verrückte war: Egal bei welchem Problem – er setzte sich drauf, und dann machten die Pferde alles!“, erzählt Ingo Pape. Natürlich wären Fleiß und Akribie auch wichtige Elemente gewesen. Dennoch gab es da etwas, das sich dem Verstand entzog, einfach ein Reiter mit wahnsinnigem Gefühl: „Es kamen überragende Reiter mit ihren Pferden zu ihm. Wenn es ein Problem gab, sagen wir mal, Wechselprobleme, wenn das Pferd keine Einer sprang. Herbert Rehbein guckte sich das an, dann setzte er sich selbst drauf, ging eine Runde Schritt, rauchte da oft noch seine Zigarette zu Ende. Dann galoppierte er eine Runde und ritt die Einer. Einfach so, fehlerfrei. ‚Das macht er doch, was willste denn?’, sagte er dann zum Beispiel. Der konnte das einfach, Herbert Rehbein war ein Genie!“ Rosemarie Springer, ehemals in der Top Ten der Dressurreiter und Wegbegleiterin von Herbert Rehbein, wird in der Autobiographie „Herbert Rehbein – Der Meister im Dressursattel“, Cadmos 1998, folgendermaßen zitiert: „Herbert Rehbein war der beste Ausbilder der Welt, und dazu stehe ich, das behaupte ich! Diese große Gabe zu fühlen, mit welchen Hilfen das Pferd zu reiten ist, ohne zu zerren oder im Maul zu reißen, mit Fairness zu reiten, sind Bilder, die man heute auf den Abreiteplätzen der Welt nicht mehr regelmäßig sieht.“ Lernen mussten die Auszubildenden viel mit den Augen, geredet wurde nur wenig, und wenn, dann deutlich. Der Unterricht selbst war konservativ und streng, „aber sobald wir abgesessen sind, war alles wieder vergessen“. Ingo Pape erinnert Rehbein als einen „angenehmen Chef, der eine außergewöhnliche Aura und Autorität hatte. Und zwar nicht, weil er uns untergeordnet hat, sondern weil er abnormale Fähigkeit im Sattel hatte.“

    Das Mädchen am Rande

    Der Eingangsbereich des Grönwohldhofes © Judith Schrempf

    Dass Herbert Rehbein Gefallen an jemandem fand, und diesen dann förderte, kam häufiger vor. Judith Schempf hat da auch eine ganz besondere Geschichte zu erzählen. Sie sah den Meister als junges Mädchen auf einem Turnier und sagte zu ihrer Mutter: „So möchte ich auch einmal reiten können!“ Rehbein hörte das, grinste, und lud sie später ein, in den Ferien auf dem Grönwohldhof zu helfen und zu reiten. Mehrere Jahre hintereinander fuhr sie daraufhin in den Ferien zu Donnerhall, Pik Bube und den anderen Berühmtheiten, putzte Pferde und lernte das Einmaleins der Reiterei an der Quelle der Reitkunst. Aus dieser Zeit sind die Schnappschüsse, die wir auf diesen Seiten zeigen. Sie präsentieren das Alltagsleben dort auf dem Hof. „Er wollte wirklich, dass die Leute etwas lernen“, erzählt auch Jenny Nelson, in den 1980er­Jahren Pflegerin auf dem Grönwohldhof, die seinerszeit zum Beispiel auf Pik Bube die Einerwechsel lernte. Dieser Hengst lag ihr besonders am Herzen. „Er hatte so einen tollen Charakter, die Ohren waren immer vorn, ein besonderes Pferd!“ Er starb an einem Herzanfall, während sie auf ihm saß, Heiko Münzmaier, auch einer, der auf dem Grönwohldhof seine reiterlichen Wurzeln hat, eilte ihr bei diesem Vorfall zur Hilfe.

    Die Promis der 80er und 90er

    Rehbeins außergewöhnliche Fähigkeiten als Reiter und Ausbilder waren bald in aller Welt bekannt. Pferde und Reiter reisten aus Schweden, Finnland, Spanien, Mexiko und den USA an. Kyra Kyrklund (FIN), Monica Theodorescu, Luise Nathhorst (SWE), Beatriz FerrerSalat (ESP), Jan Brink (SWE), Tinne Wilhelmson (SWE), Kristy Oatley (AUS) und Falk Rosenbauer sind nur einige der bekannten Reiter, die die Rehbeins unterrichteten. Wenn man Karin Rehbein heute fragt, was die Essenz der Ausbildung gewesen sei, die sie und ihr Mann vertreten hätten, dann erwähnt sie die Präzision. „Auf den Punkt genau reiten!“, sagt sie. „Zum Beispiel in die Pirouette schulterhereinartig hineinreiten, oder beim Galoppwechsel nicht umstellen, sondern stets mit dem inneren Schenkel zum neuen äußeren Zügel reiten, das sind so Sachen, die ich von meinem Mann gelernt habe und die wir unseren Schülern weitergegeben haben.“ Fragt man Ingo Pape nach der Essenz der Ausbildung, einem zentralen Element, dann erwähnt er die Geraderichtung der Pferde und das Führen der Pferde am äußeren Zügel: „Das war ein absolut entscheidender Bestandteil der Ausbildung!“

    Ein Reitstall als Lebenselixier

    Otto Schulte-Frohlinde, Reisport-Mäzen, Donnerhall-Entdecker und großer Pferdemann © Jacques Toffi

    Zwischen Hamburg und Lübeck liegt der Grönwohldhof. Schon bevor er als „Mekka der Dressurreiterei“ bekannt wurde, war der Ort etwas Besonderes: Zwischen Bachläufen, Rhododendronhecken und Rapsfeldern gelegen, ein auffallend schöner Fleck Schleswig­-Holsteins. Otto Schulte­-Frohlinde, Mäzen und Öl-­Unternehmer, kaufte das Anwesen 1969 und plante, es zum Mittelpunkt seines Ruhestandes werden zu lassen. Er wollte Pferde züchten und Landwirtschaft betreiben, die lag ihm nämlich am Herzen, schließlich stammte er aus einer Familie, die in der Landwirtschaft zu Hause war. Die Reitanlage befand sich in der Planungsphase, als Schulte­-Frohlinde einen Schlaganfall erlitt. Sein Sohn Henrik, Junior genannt, änderte daraufhin die Planungen. „Vater hat ihn dabei stets gebremst und gesagt, mach’ es kleiner, kleiner!“, erinnert sich die Tochter, Ulrike Gräfin von Walderdorff. Doch Henrik Schulte-­Frohlinde war sicher: Es soll etwas ganz Besonderes werden. „Mein Bruder sagte zu mir: ‚Ulrike, er wird sterben’! Wir müssen ihm eine Aufgabe geben, eine Reitanlage bauen, an der er mitmischen kann.“ Heute noch freut die Gräfin, dass „dieser Plan aufgegangen ist, denn bei den Pferden brauchte er nicht zu sprechen“. So wurde die Anlage auch die Bedürfnisse der neuen Handicaps des Vaters angeglichen, geschützte Sitzplätze zum Beobachten der Reiter wurden eingebaut. Der Vater erholte sich, kam wieder zu Kräften. Das Engagement für Reiter mit Handicaps führt übrigens Ulrike Gräfin von Walderdorff weiter, die sich bis heute im Deutschen Kuratorium für Therapeutisches Reiten engagiert. Jedes Teil beim Bau der Reitanlage ging durch die Hände von Henrik Schulte­-Frohlindes, der 2016 verstarb. Er baute den Rohling der Anlage aus Streichhölzern und schreckte nicht davor zurück, neue Lösungen zu finden. „Er wollte eine helle, beheizbare Halle. Solche Glasgiebel gab es zuvor nicht, mein Bruder sagte: ‚Wenn es Butzenscheiben auch in Häusern gibt, warum nicht auch in größer?’“, erzählt Ulrike von Walderdorff. So entstand das Fachwerk-­Holz, das mit den Glasscheiben gefüllt wurde. Das Casino wurde „angelegt wie im Frankfurter Flughafen, sodass man nach allen Seiten gucken kann!“ Zur Eröffnung der Reithalle im Oktober 1976 kamen 600 geladene Gäste, darunter auch jeder Handwerker, der am Bau beteiligt gewesen war, „und unsere Nachbarn, ein Altenheim“. Es wurde der Olympia­-Film gezeigt, denn Alwin Schockemöhle, ein enger Freund der Familie, gewann im Eröffnungsjahr Olympisches Einzelgold mit Warwick Rex. „Wir feierten bis sechs Uhr morgens und bauten dann alle zusammen um acht Uhr wieder ab“, erinnert sich Ulrike von Walderdorff. Gefüllt wurde der Stall mit Pferden aus dem Stall Schlüter, auf dem auch das Ehepaar Rehbein zuvor tätig gewesen war. Darunter war zum Beispiel das Olympiapferd Liostro 2. Herbert und Karin Rehbein zogen also als Angestellte bereits während der Planungsphase auf dem Grönwohldhof ein. Anfangs lebte „man hier jahrelang auf einer Großbaustelle“, erinnert sich Ulrike von Walderdorff. „Die Rehbeins ritten ihre Spitzenpferde draußen, auch bei Regen! [/ihc-hide-content]

    © Dieser Auszug basiert auf einem Beitrag von Jeannette Aretz, der im Sammelwerk „Ausgewählte Hengste Deutschlands 2018/19“ erschienen ist.

  • Grönwohldhof und Donnerhall (Teil 2)

    Grönwohldhof und Donnerhall (Teil 2)

    Eine neue Ära der Architektur  im Stallbau

    Freunde fürs Leben, das waren Alwin Schockemöhle (li.) und Otto Schulte-Frohlinde. Sie verband eine väterliche Freundschaft. Jeden Sonntag telefonierten sie, bis zum Tod des großen Pferdemannes Otto Schulte-Frohlinde © Gräfin von Walderdorff privat

    Doch das Warten auf den Neubau lohnte sich. Wie ungewöhnlich das Bauwerk für die damalige Zeit war, zeigt auch die Erinnerung von Ingo Pape an seinen ersten Besuch auf dem Grönwohldhof, Anfang der 1980er­Jahre. „So etwas wie den Grönwohldhof hatte ich noch nie gesehen, mir ist der Unterkiefer runtergefallen!“, erzählt er, und das Staunen ist ihm auch heute noch, als gestandener Pferdemann, der etwas in der Welt gesehen hat, anzuhören. „Das war für mich wie bei Alice im Wunderland. Nicht nur Architektur, sondern auch dieser Verbund mit dem altem Gutshof, dem Baumbestand, den Seen, diese perfekt gepflegten Grünanlagen, die ganze Komposition war besonders.“ Wenn es heiß war, dann ritten die Rehbeins „auch schon mal um fünf Uhr morgens und mein Vater kam dazu, er saß dann in Bademantel und Schlappen in der Kemenate am Reitplatz“, erinnert sich Ulrike von Walderdorff. Neben dem Reitplatz befanden sich Teiche, Frösche quakten. Auch in der Reithalle hatte Otto Schulte­-Frohlinde, genannt Schufro, einen Rückzugsort, in dem er ebenso geschützt vor den Jahreszeiten und dennoch mit Rundumblick alles beobachten konnte: Das Casino war schon damals technisch so gut ausgestattet, dass er per Knopfdruck alles Mögliche, zum Beispiel die Vorhänge in der Reithalle, steuern konnte. „Vom Casino aus konnte man in alle drei Stallgassen schauen“, erzählt sie. Es thronte imposant über den Stallungen und war so ungewöhnlich gestaltet, dass es von manchen Zeitgenossen als Cockpit bezeichnet wurde. Die Anlage öffnete ihre Tore für viele Prominente der Szene. Ein häufiger Gast war zum Beispiel Alwin Schockemöhle. „Sie hatten eine lebenslange Bindung“, erzählt die Tochter Otto Schulte­-Frohlindes heute, „das war wie Vater und Sohn“. Eines der wichtigen Springpferde Schockemöhles, Donald Rex, wurde später das Ausreitpferd für Schulte­-Frohlinde, als er sich aufgrund seines Schlaganfalls nur noch eingeschränkt bewegen und nicht mehr gut reiten konnte. Das ‚Rex’ im Namen der Springpferde von Schockemöhle stand übrigens stets für die Firma von Otto Schulte­-Frohlinde: Rex Mineralölgesellschaft Paul Ziegler & Co.

    Hochzeit in der Halle

    Eine Hochzeit in der Reithalle – so feierte Gräfin Ulrike von Walderdorff die Tochter Otto Schulte-Frohlindes, ihr Fest. Man beachte die Giebelwand, die als Kennzeichen des Hofes zu Berühmheit gelangte © Gräfin von Walderdorff privat

    Ulrike von Walderdorff feierte übrigens in der großen Vorhalle zur Reithalle ihre Hochzeit – was einmal mehr ein Hinweis darauf ist, wie gigantisch die Anlage gestaltet war. „Mein Vater sagte damals, 1980: ‚Du brauchst kein Hotel, Du kannst hier in der Vorhalle heiraten!’“. Denn so viel finanzieller Background auch da war – den Schulte-­Frohlindes wie auch den Rehbeins war Bodenständigkeit zu eigen. „Wir holten also Teppiche hinunter in die Vorhalle, schmückten alles mit Blumengestecken, und ich stellte Sonnenschirme in der Reithalle auf, das gefiel mir damals so.“ Herbert Rehbein suchte eine Kutsche für das Brautpaar aus, „denn das muss ganz gescheit sein!“, so erinnert die Gräfin seinen Spruch dazu. „An diese Kutsche erinnere ich mich noch gut, und an eine Begebenheit vor deren Einsatz: Der Kutscher suchte einen Stein, um das hintere Rad der Kutsche zu fixieren. Aber er fand keinen und sagte verzweifelt: ,Bei euch ist es ja so gepflegt, da gibt’s ja noch nicht mal mehr einen losen Stein!’“ Penibel sauber und ordentlich war der Hof, auch das prägte die Atmosphäre. So heißt es in der bereits erwähnten Biographie über Herbert Rehbein, man habe auf dem Hof sogar den Eindruck, die Pferde würden sich bemühen, leise zu schnauben. [ihc-hide-content ihc_mb_type=“show“ ihc_mb_who=“4,3″ ihc_mb_template=“3″ ]Auf die Weide kam damals noch kein Sportpferd, wie sich damalige Pfleger erinnern. 200 Hektar gehörten zum Anwesen, genug Platz für die Zuchtstuten und ihre Nachzucht. Einen Teil der Jährlinge schickte Otto Schulte-Frohlinde stets nach Irland, wo sie auf seinem irischen Gut Artramon ihre Kindheit verlebten.

    Ein Fohlen namens Donnerhall

    Donnerhall und Karin Rehbein in Münster © Judith Schrempf

    „Als Otto Gärtner seine Stute Ninette von Donnerwetter, der auf dem Grönwohldhof stand, decken ließ, hatte er ein klares Zuchtziel: „Rappe mal Rappe, ganz klar: Schwarz sollte das Fohlen werden“, so erinnert Zuchtexperte Claus Schridde die Anpaarungsplanung zum Jahrhunderthengst Donnerhall. Doch Ninette brachte 1981 einen Dunkelfuchs zur Welt, und zwar mit zwei ziemlich gleichmäßig weißen Vorderfüßen. Für sein kommendes Buch über Donnerhall hat Claus Schridde mit sämtlichen Zeitzeugen gesprochen, auch mit Otto Gärtner. Bei der Geburt des Ausnahmehengstes sei der Züchter erst einmal enttäuscht gewesen. „Er hatte nicht mit einem Fuchs gerechnet, war aber dann froh, dass es wenigstens ein Dunkelfuchs war“, sagt Schridde. Wenig später kehrte Otto Gärtner auf den Grönwohldhof zurück, um Ninette erneut von Donnerwetter decken zu lassen. Donnerhall lief bei Fuß, und das tat er wohl so imposant, dass die Angestellten sofort nach dem Chef riefen ließen. So erinnert sich Ulrike von Walderdorff heute daran. Sofort habe ihr Vater das Fohlen per Handschlag gekauft. 1981 war das. Fünf Jahre später wurde Donnerhall Siegerhengst auf der DLG-Ausstellung in Hannover. Zu Donnerhalls Karrierebeginn liefen der Turniersport und das Deckgeschäft im Natursprung parallel. Das sind Anforderungen an einen Hengst, die es heute so kaum mehr gibt. Mit Karin Rehbein im Sattel siegte er später vielfach auf Grand­-Prix­-Niveau. Gemeinsam mit seinem Vater Donnerwetter und Pik Bube stellte er das Hengstlot des Grönwohldhofes. Zunächst spielte er in diesem Trio allerdings noch keine herausragende Rolle. „Donnerhall war ein typisches F1­-Kreuzungsprodukt von Hannoveraner und Alt-­Oldenburger Stute, aufgepeppt durch ein bisschen Vollblut, also eigentlich ein bisschen der Zeit hinterher, denn dieses ‚Zuchtrezept‘ gab es in Oldenburg schon seit Mitte der 1960er­Jahre und es erschien daher nicht sonderlich aufregend. Mit der Übersiedlung auf den Grönwohldhof war zwar der Anfang gemacht, doch die Chancen, ein Spitzenvererber zu werden, standen zunächst auch alles andere als gut: Viele Oldenburger Hengste standen Anfang der 80er noch weitgehend arbeitslos als Alibi­-Hengste auf den Stationen, viele derartig gezogene Pferde gingen gar nicht in den Deckeinsatz oder wurden nach einem Jahr Deckeinsatz ohne Prüfung als Reitpferd verkauft“, erinnert sich Schridde. „Insofern hätte wohl kaum jemand erwartet, dass ausgerechnet dieser bei der Körung noch eher unscheinbare Dunkelfuchs der größte Dressurvererber des Jahrtausends werden würde.“ Das Interesse größerer Züchterkreise erwachte laut Claus Schridde nach der Hengstleistungsprüfung, die Donnerhall als Zweiter von 70 Bewerbern in einem außergewöhnlich starken Jahrgang in Adelheidsdorf absolvierte. Er wurde für das Nachbarzuchtgebiet Hannover anerkannt. „14 Nachkommen mit vier unterschiedlichen Brandzeichen aus dem zweiten Jahrgang sind FN­-registriert, darunter zwei weitere gekörte Söhne und mehrere erfolgreiche S­-Pferde“, so Schridde. „Spätestens 1986 wurde die züchterische Öffentlichkeit endgültig auf diesen Hengst aufmerksam: Donnerhall wurde DLG-Champion und düpierte damit vor heimischer Kulisse die starke Konkurrenz aus Hannover.“ Es folgte die unglaubliche züchterische Karriere: Sein gekörter Sohn Don Primero stammt aus dem ersten Jahrgang, „wo Donnerhall vielleicht sechs, sieben Stuten bekommen hatte“, drei davon sind in den FN-Erfolgsdaten registriert. In diesen Jahren weichte so ganz langsam die Landgestüts­ und Stationstreue der Züchter auf. Vorher war es undenkbar gewesen, die Stute aufzuladen und zu einem Privathengsthalter zu fahren. Was heute durch die Mischung der Zuchtgebiete sogar über Landesgrenzen hinaus ganz normal ist, war damals eine Sensation: Ein Oldenburger Hengst in Holstein deckt vorwiegend Töchter eines Hannoveraner Hengstes (Pik Bube). Diese später als eindeutige Passerpaarung bezeichnete Verbindung zwischen Donnerhall und Pik Bube, „war einfach eine Genetik, die gepasst hat!“, sagt Zuchtexperte Claus Schridde. Interessant: Beide Hengste führen Springgenetik, so Schridde, denn Pik Bube habe gleichermaßen auch Springpferde gemacht, und der Donnerhall­-Vater Donnerwetter war der einzige Disput­-Sohn, der S-­Dressur ging und eine Dressurlinie begründete. Interessant ist das vor allem im Hinblick darauf, dass momentan wieder auf Springblut in den hinteren Generationen geachtet wird beispielsweise bewegungsstarke Dressurpferde aus purer Springgenetik entstehen (siehe Sönke Rothenbergers Cosmo).

    Donnerhall und Karin Rehbein

    Karin Rehbein übernahm den Ausbildungsbetrieb des Grönwohldhofes nach dem frühen Tod ihres Mannes © Jacques Toffi

    Ob vor dem Münsteraner Schloss oder in Verden: Karin Rehbein und Donnerhall waren eine Augenweide. Zu Berühmtheit gelangten auch die Pas des Deux mit ihrem Mann Herbert Rehbein. Donnerhall war ein Jahrhunderthengst, aber er war auch das Pferd des Lebens dieser Reiterin. Er wuchs auf dem Grönwohldhof auf und Karin Rehbein erinnert sich heute noch gern an diese Anfangsjahre: „Ich hatte ihn von Anfang an im Auge“, erzählt sie. Das Anreiten übernahm ein Bereiter. Als Donnerhall 5­-jährig war, stieg sie erstmals in den Sattel. „Ich spürte sofort: Er ist besonders“, erinnert sie sich. Donnerhalls Entdecker Otto Schulte­Frohlinde starb 1990, der Hengst war da gerade neun Jahre alt und schon damals das gewinnreichste Dressurpferd Deutschlands. Doch die vielleicht wichtigste Episode in Donnerhalls Turnierkarriere konnte Schulte-­Frohlinde nicht mehr miterleben: Die Weltmeisterschaft in Den Haag 1994. Seine Tochter Ulrike Gräfin von Walderdorff erinnert sich deutlich, und wenn sie von dieser Weltmeisterschaft erzählt, dann wird auch nach mehr als 20 Jahren dieses Erlebnis begreifbar: „Meine Kinder waren damals klein, acht und sechs Jahre alt, aber ich wusste, ich muss da hin“, erinnert sich von Walderdorff. Die Jacke, die sie sich extra für diese Veranstaltung gekauft hat – „kariert“ –, die hat sie immer noch, „und ich würde sie niemals abgeben.“ Karin Rehbein und Donnerhall gewannen in Den Haag Einzelbronze und Gold mit der Mannschaft. „Als die Kür vorbei war, bin ich aufgestanden und habe laut gebrüllt: ‚Es ist Bronze!’“ erzählt Gräfin von Walderdorff, und sie reckt beim Erzählen die Arme in die Luft und ballt die Hand zur Faust. „Die Leute neben mir haben das nicht verstanden, aber es war Bronze und das mit einem deckenden Hengst!“ Diese Situation in Den Haag, das sei der Anfang der Weltkarriere gewesen, die es eben war, weil der Hengst gleichzeitig selbst sporterfolgreich war und so hocherfolgreiche Nachkommen brachte. Zu Donnerhalls Zeiten galt noch die Maxime „Zucht ist Zucht und Sport ist Sport“ – was natürlich auch mit den Kinderschuhen zu tun hatte, in denen die Besamung damals noch steckte. Der Grönwohldhof wurde übrigens auch eine der ersten Besamungsstationen des Landes. Für Reiterin Karin Rehbein war die Europameisterschaft in Verden das wichtigste Turnier überhaupt. „Das war im selben Jahr, in dem mein Mann gestorben war. Ich muss ehrlich sagen, ich war nicht ganz bei mir, stand neben mir. Doch ich ritt wie auf Wolke Sieben.“ Sie und der Hengst Donnerhall zeigten alles, was die Ausbildung im Stall Rehbein ausmachte: Durchlässigkeit par Excellence. Insgesamt erreichte Donnerhall eine Lebensgewinnsumme von 325.265 Euro. Heute hat er eine Linie aufgebaut, die ein Gros der Pferde im internationalen Dressursport stellt.

    Das Ende einer Ära

    Dancier, typstarker Vererber von De Niro, hat schon jetzt große Fußstapfen hinterlassen © Marianne Schwöbel

    Den Grönwohldhof als Mekka des Dressursportes gibt es heute nicht mehr. Herbert Rehbein selbst verstarb 1997 mit nur 50 Jahren. Bereits 1990 starb Otto Schulte-Frohlinde. 2012 starb auch sein Sohn, der Grönwohldhof wurde an Manfred von Allwörden, einen Züchter von Holsteiner Springpferden, verkauft. Der Hengst Donnerhall verstarb 2002. Das Erbe aufrechterhalten, das tun die Hinterbliebenen. Karin Rehbein lebt sehr zurückgezogen. Die Hundeliebhaberin hat eine französische Bulldogge namens Lemmy und ein Grand­-Prix­-Pferd, World Idol, denen sie ihre Zeit schenkt. Ulrike Gräfin von Walderdorff bewirtschaftet das irische Gut Artramon ihres Vaters und hat dort ein kleines Privatmuseum für Donnerhall errichtet: Ein Hotelzimmer, in dem viele Fotos des Hengstes und seiner Kinder zu sehen sind und in das sich Gäste sogar einmieten können. Sie entwarf zu Ehren des Hengstes zwei Seidentücher, auf denen sämtliche gekörte Hengste von Donnerhall und die erfolgreichsten Kinder und Erfolge der Kinder vermerkt sind. Auf dem Anwesen kann man noch zahlreiche weitere Zeitdokumente und Gemälde bewundern. Donnerhalls Nachkommen – darunter allein 121 gekörte Hengste und 245 Staatsprämienstuten – sind zahlreich und auffällig in ihrer Qualität. „An sich muss man diesen Nachkommen bescheinigen, dass sie von Natur aus hervorragende Bergauf­-Pferde sind, dass sie sehr sehr rittig sind, und vor allen Dingen von ihrem Bewegungspotential her, Schritt-­Trab­-Galopp, alles in die Wiege gelegt bekommen haben, um große Pferde zu werden“, so urteilte Uwe Heckmann im Film „Donnerhall – ein Denkmal ganz privat“ (pferdia tv) schon Ende der 1990er­Jahre. Der bekannte Auktionsleiter sollte bis heute recht behalten: Da gibt es einen Damon Hill von Donnerhall aus einer Rubinstein-I­-Parademarsch-­I-­Mutter, der als Sportpferd alles erreichte, was einem Dressurpferd möglich ist, und zudem als Positivvererber auffällt. Da gibt es einen De Niro, der unglaublich viele Sportpferde erster Güte stellt, allen voran Desperados FRH, und zum Beispiel auch Dablino FRH von Annabel Balkenhol oder Olympiapferd Mistral Hojris von Laura Tomlison, die die Erfolge mit dem Fuchswallach noch unter ihrem Mädchennamen Bechtolsheimer erritt. De Niros Sohn Dancier hat sich im Landgestüt Celle unabdingbar gemacht, ebenso wie der direkte Donnerhall­-Sohn Don Frederico, der mit seinen Kindern Diva Royal und Don Johnson FRH im Spitzensport ganz oben mitmischte und mitmischt. Ein paar Worte mehr sollten noch über Don Schufro fallen: Dieser Donnerhall-­Sohn trägt nämlich das Namenskürzel von Otto Schulte-­Frohlinde, Schufro, im Namen. Gezogen nach dem sicheren Rezept Donnerhall mal Pik Bube, ist er seit vielen Jahren auf dem Gestüt Blue Hors in Dänemark beheimatet. 2008 nahm er mit der dänischen Mannschaft an den Olympischen Spielen von Hongkong teil und gewann mit der dänischen Equipe Bronze. Aktuell sorgt er durch seine geniale Tochter Weihegold OLD, die unter Isabell Werth hocherfolgreich ist, für Furore. Seinen Namen hat Don Schufro übrigens Paul Schockemöhle zu verdanken. Er taufte ihn so mit den Worten „Der ist gut genug, den nenn’ ich Don Schufro!“, erzählt Ulrike Gräfin von Walderdorff, „und diesen Mut müssen Sie erst mal haben, das ist würzig“, sagt sie. Schließlich hieß ‚Schufro‘ auch ihr Vater. Ein Hotelzimmer in ihrem irischen Gut ist auch nach diesem Hengst benannt. Und die Geschichte von Don Schufro sagt viel über die Persönlichkeit Paul Schockemöhles aus: Erstens dieser Mut bei der Namensgebung, zweitens das Auge, ein gutes Pferd zu erkennen, und drittens die Geschäftstüchtigkeit: Für unter 2000 Mark soll er das Fohlen gekauft haben, und für mehr als eine Million soll er Don Schufro wieder verkauft haben als 4­-jährigen. Kein schlechtes Geschäft – und geblieben ist ein markanter Hengst für die weltweite Dressurpferdezucht. Vielleicht ist es genau das, was die Faszination Zucht erklärt: Die Ära des Grönwohldhofes als Mekka des Dressursports und der Dressurpferdezucht mag vorbei sein. Doch die Gene des Donnerhall, die sind in hunderten, tausenden von Sportpferden verewigt und werden von Generation zu Generation weitergetragen. Donnerhall hat die Zucht von Dressurpferden weltweit immens geprägt – es gibt bislang kein Pferd, das vergleichbar seinen Stempel aufgedrückt hat. [/ihc-hide-content]

    © Dieser Auszug basiert auf einem Beitrag von Jeannette Aretz, der im Sammelwerk „Ausgewählte Hengste Deutschlands 2018/19“ erschienen ist.