Lissaro van de Helle – Der Sportler mit dem großen Herzen (Teil 1)
Er hat immer wieder von Neuem bewiesen, was in ihm steckt: Lissaro van de Helle, dreifacher Bundeschampionatssieger und führender Hengst der FN-Zuchtwertschätzung Dressur im Jahr 2015. Eine Karriere mit unglaublichen Niederschlägen – und noch mehr Höhepunkten.
Dieser Hengst hat eine Karriere hingelegt, die in ihrer Dramatik für jeden Kinofilm tauglich wäre. Die Kurzfassung geht so: als Fohlen ein unscheinbares Entlein, bei der Körung unterschätzt und für kleines Geld verkauft, dann strahlender Sieger der dreijährigen Dressurpferde auf dem Bundeschampionat. Den Titelgewinn wiederholte er 4-jährig und 5-jährig. Keinem anderen Hengst gelang das bisher. Fremdreiter zückten die 10 als Note, Uta Gräf sagte, so ein Pferd habe sie noch nie geritten, zahlreiche Lobeshymnen gibt es auf seine Rittigkeit und seine Grundgangarten. Darauf folgt ein Reiterwechsel, Lissaro geht von Westfalen aus in die Niederlande und erlebt einen dramatischen Tiefpunkt: Der Samen stimmt nicht mehr, der Hengst wird aus der Besamung genommen und öffentlich nicht mehr gezeigt. Das gleicht einem züchterischen Tod, einem Totalausfall. Dann der Hoffnungsschimmer: Das Landgestüt Celle holt ihn 2012 zurück nach Deutschland. Reiter Wolfhard Witte gelingt das Kunststück, ihn wieder aufzubauen. Als die beiden in der Zwei-Sterne-S-Dressur angekommen sind, rollt Lissaro van de Helle auch das züchterische Feld von hinten auf: Er führt mit sagenhaften 176 Punkten die FN-Zuchtwertschätzung Dressur an. Ein Held ist zurück!
Lissaro van de Helle auf einer
Hengstvorführung des Landgestüts
Celle unter Wolfhard Witte. © Marianne Schwöbel[/caption] Adelheidsdorf, ein Morgen in der Reithalle der Deckstation des Landgestüts Celle. Da ist er also, dieser Hengst, der die Qualitäten eines Stehaufmännchens bewiesen hat – Lissaro van de Helle unter Wolfhard Witte. Als Erstes fällt auf: was für ein Schritt! Gut vier Fuß Übertritt, wunderbar im Takt. Der Hengst wirkt auf Fotos schwerer, als er es in natura ist. Er ist ein Pferd mit genügend Brusttiefe, mit gutem Fundament, aber keineswegs zu grob oder zu schwer. Dass er so ein Braver sei, das wird landauf, landab gelobt. Kritiker setzen das gern mit unspektakulär gleich. Ein Argument, das weggewischt wird, sobald Wolfhard Witte den Hengst in der Arbeitsphase strahlen lässt: Ausdruck und Präsenz sind da, Lissaro hebt sich im Schultergürtel wunderbar an, zeigt überzeugende Traversalen in Trab und Galopp. Ein Pferd mit Charisma. Zudem stimmen die harten Fakten: Hinterbein, Abfußen, Schulterfreiheit. [ihc-hide-content ihc_mb_type="show" ihc_mb_who="4,3" ihc_mb_template="3" ] Guter Rücken, korrektes Fundament:
Attribute, die Lissaro van de Helle
gern weitergibt. © Marianne Schwöbel[/caption] Wolfhard Witte beschreibt Lissaro so: „Er gibt einem ein tolles Sitzgefühl und ist sehr gut vom Maul her. Seine Zuverlässigkeit zeichnet ihn aus – Lissaro konzentriert sich hundertprozentig, und was er einmal verstanden hat, sitzt.“ Momentan sind die beiden auf dem Weg von der Zwei-Sterne- zur Drei-Sterne-S-Dressurprüfung. „Das macht er schon sehr gut, die Piaffe macht er mit sehr viel Energie und in der Wechseltour entwickelt er großen Ehrgeiz.“ Lissaros großen Bewegungsablauf möchte Witte „kleiner und schneller bekommen, damit er noch ein bisschen schneller abfußen kann.“ Dann zeigen Witte und Lissaro einige Pia-Tritte auf dem zweiten Hufschlag, fleißig im Hinterbein und ausdrucksstark. Zwei Minuten später pariert der Reiter durch, lässt die Zügel lang für einen kurzen Plausch. Sofort schaltet Lissaro um: Er steht mit einer Ruhe dort, als könnte ihn kein Orkan aus seinem inneren Gleichgewicht bringen. Lissaro ist ein Pferd mit einem An- und Ausknopf: auf den Moment da und genauso schnell wieder heruntergecoolt. Geradezu legendär ist eine Szene, die sich auf dem Bundeschampionat abspielte. Dreijährig war Lissaro da, ein Sturm tobte in Warendorf und hob einen Schirm über ein Festzelt in Richtung der Dreijährigen. Alle Pferde wurden nervös, hampelten herum, die Reiter hatten ihre liebe Mühe, ihre Youngsters bei sich zu halten. Und Lissaro? Der guckte kurz in Richtung des Schirms, der das Dach herunterrutschte, zuckte nicht mal mit dem Ohr und ging gelassen im Schritt weiter. Sofort musste er zur Dopingkontrolle – schließlich konnte sich keiner vorstellen, dass ein Jungpferd so gelassen wie ein Polizeipferd daherkommen könnte. Er war nicht gedopt. Später gewann er die Prüfung und wurde Bundeschampion, wie auch in den Jahren darauf. Deutschlands dreifacher Bundeschampion und Zuchtwertschätzungs-Primus hat nicht nur Bewegungen der Weltklasse, er hat zudem die Nervenstärke eines Therapiepferds. Der spektakuläre Lissaro-Sohn
Lilliano OLD, Vize-Bundeschampion
im Jahr 2014. © Judith Schempf[/caption] Lissaros Stutenstamm kommt aus dem Züchterhaus Dittmer aus Pedingworth im Landkreis Cuxhafen. Jutta und Jürgen Dittmer haben sich dort eine kleine, feine, hoch erfolgreiche Familienzucht aufgebaut. Auf dem Reitplatz neben ihrem rot geklinkerten Einfamilienhaus dreht an einem Morgen im Februar die Zuchtstute Rosanna, Halbschwester zu Lissaro, ihre Runden mit ihrem Don-Darius-Stutfohlen. Auf diesem Reitplatz haben die Dittmers Lissaro für die Körung selbst vorbereitet, ihn longiert und freispringen lassen, so wie sie es mit all den gekörten Hengsten aus ihrem Stutenstamm gemacht haben. Lissaros Stamm ist nämlich gespickt von sporterfolgreichen Pferden und gekörten Nachkommen. Jürgen Dittmer begann die Zucht mit Lissaros vierter Mutter, der 1966 geborenen Stute Serone von Servus-Abhang II. „Serone war eine sehr edle Stute, ein Fuchs mit viel Weiß“, erzählt er. Sein Großvater hatte sie aus der Lüneburger Heide geholt, verstarb jedoch kurz darauf. Jürgen Dittmers Eltern hatten mit den Pferden nicht viel am Hut, so übernahm der damals 19-Jährige die Stute selbst. Auf dieser Serone baut der Dittmersche Stutenstamm auf. „Servus mal Abhang II war eine Passerpaarung, die viele gute Pferde gebracht hat“, ordnet Zuchtexperte Claus Schridde diese Anpaarung ein. Prominentes Beispiel sei der Wallach Slibowitz von Dr. Uwe Schulten-Baumer junior (1978 Einzel-Vizeweltmeister in der Dressur). „Das waren zwei Hohnstorfer Leistungshengste, die gut aufeinander gepasst haben, auf der Grundlage konnte man vieles möglich machen.“ Die zweite Mutter der Serone von Abhang II wiederum stammt aus einer Vorbuchstute. Lissaros Mutterstamm sei daher ein typisches Beispiel dafür, wie aus einer Vorbuchstute innerhalb von acht Generationen ein sehr junger, leistungsstarker Stamm entwickelt werden könne, so Schridde. Das züchterische Rezept, das hinter diesem Erfolg steht, zeigt, dass ein Stamm nur mit der allerhöchsten Wertschätzung von Leistung und der richtigen Intuition so hervorragend zu entwickeln ist. Dieses Kunststück gelang den Dittmers. Der junge Jürgen Dittmer paarte Serone mit Diskant an, daraus entstand die 1973 geborene Darietta, die bei den Dittmers hervorragende Nachzucht hinterließ und selbst „sehr gut springen konnte, wie alle Diskants.“ Darietta lieferte den Dittmers die beiden Garibaldi-II-Vollschwestern Gracia (geboren 1980) und Grace (geboren 1983), bevor sie 1984 bei der Geburt eines weiteren Fohlens starb. Der bunte Braune gibt auch ein
gutes Führpferd im Gelände ab. © Marianne Schwöbel[/caption] 1985 brachte Gracia wieder mit Matcho AA die Mutter Lissaros, Marquesa. „Marquesa ist in unseren Armen geboren und gestorben“, erzählt Jutta Dittmer. Dazwischen lagen viele gute Fohlen der fruchtbaren, gesunden Stute. Ihr sah man den Vater Matcho AA nicht direkt an. „Vom Typ her war Marquesa ganz ihre Mutter, mit 1,73 m Stockmaß eine große Stute mit langen Linien. Sie hatte eine unglaubliche Leistungsbereitschaft und Ausdauer“, erzählen die Dittmers. Die hervorragenden Grundgangarten hatte sie ebenfalls von ihrer Mutter mitbekommen, die Dittmers sehen darin das Garibaldi-II-Erbe. Charakterlich ähnelt ihr imposanter Sohn Lissaro van de Helle der Stute nicht: „Marquesa war so ein Typ Pferd, der super ehrlich zu reiten war – aber sie war absolut kein Schmusepferd. Wollte jemand sie streicheln, drehte sie sich weg.“ In der Stutenleistungsprüfung erhielt Staatsprämienstute Marquesa jeweils die Note Acht für Typ, Qualität des Körperbaus, Schritt und Springen unter dem Reiter, sogar die Neun für die Gesamtentwicklung. Die 1992 geborene Vollschwester zur Marquesa, Merci, ist mit ihren Nachkommen ein weiterer Beleg für die vielseitige Vererbungskraft des Stammes. Fünf Nachkommen der Merci sind bei der FN gelistet, darunter ein S-Dressur- und ein S-Springpferd. Ganz auffällig in der gesamten Stutenfamilie des Lissaro sind die Schrittnoten der Eintragungen und der Stutenleistungsprüfungen: Niemals ist der Schritt mit weniger als einer 8,0 bewertet. Der Schritt ist in diesem Stutenstamm bestens abgesichert. Marquesa paarten die Dittmers zunächst fünfmal mit Graf Sponeck an. Hier gefielen ihnen die Doppelveranlagung und der Leistungswille. Aus diesen Anpaarungen stammen zum Beispiel das Vielseitigkeitspferd Galactic Paint sowie der hannoversch gekörte Giuliano DH vom Donseler Hof (erfolgreich in S-Springen) und die Staatsprämienstute Gräfin Sponeck, die sehr viele Materialpferdeprüfungen gewann und zum Beispiel Fünfte wurde beim Hannoveraner Championat 1994 auf dem Dobrock. Nach den Graf-Sponeck-Kindern folgten zwei Nachkommen der Marquesa von Rotspon. Mit der 2001 geborenen Rosanna züchten die Dittmers heute noch. Rosanna erhielt im Freispringen in der Stutenleistungsprüfung zweimal eine 10,0 – und das als Tochter des Reitpferdemachers Rotspon. Wieder mit dem Gedanken an Typverbesserung paarten die Züchter Marquesa darauf in dreimal mit Wolkenstein II an, es wurden zwei lebende Fohlen geboren. 1997 war dies Why Not, der später in M- und S-Dressuren Erfolge sammelte. Ein weiterer Nachkomme, später eingegangen, stammte von Sunset Boulevard xx. Und aus der Anpaarung mit Contendro I stammt der gekörte Hengst Cincano, der über die Verdener Auktion nach Brasilien verkauft wurde und nun unter dem Namen Cincano da Pedreira international im Springen erfolgreich ist. Im Jahr 2004 paarten die Dittmers Marquesa mit Lissabon an. [/ihc-hide-content] © Dieser Auszug basiert auf einem Beitrag von Jeannette Aretz, der im Sammelwerk „Ausgewählte Hengste Deutschlands 2016/17“ erschienen ist.
Training in Celle
[caption id="attachment_207043" align="alignleft" width="450"]Hengstvorführung des Landgestüts
Celle unter Wolfhard Witte. © Marianne Schwöbel[/caption] Adelheidsdorf, ein Morgen in der Reithalle der Deckstation des Landgestüts Celle. Da ist er also, dieser Hengst, der die Qualitäten eines Stehaufmännchens bewiesen hat – Lissaro van de Helle unter Wolfhard Witte. Als Erstes fällt auf: was für ein Schritt! Gut vier Fuß Übertritt, wunderbar im Takt. Der Hengst wirkt auf Fotos schwerer, als er es in natura ist. Er ist ein Pferd mit genügend Brusttiefe, mit gutem Fundament, aber keineswegs zu grob oder zu schwer. Dass er so ein Braver sei, das wird landauf, landab gelobt. Kritiker setzen das gern mit unspektakulär gleich. Ein Argument, das weggewischt wird, sobald Wolfhard Witte den Hengst in der Arbeitsphase strahlen lässt: Ausdruck und Präsenz sind da, Lissaro hebt sich im Schultergürtel wunderbar an, zeigt überzeugende Traversalen in Trab und Galopp. Ein Pferd mit Charisma. Zudem stimmen die harten Fakten: Hinterbein, Abfußen, Schulterfreiheit. [ihc-hide-content ihc_mb_type="show" ihc_mb_who="4,3" ihc_mb_template="3" ]
Ehrgeiz in der Wechseltour
[caption id="attachment_207047" align="alignleft" width="450"]Attribute, die Lissaro van de Helle
gern weitergibt. © Marianne Schwöbel[/caption] Wolfhard Witte beschreibt Lissaro so: „Er gibt einem ein tolles Sitzgefühl und ist sehr gut vom Maul her. Seine Zuverlässigkeit zeichnet ihn aus – Lissaro konzentriert sich hundertprozentig, und was er einmal verstanden hat, sitzt.“ Momentan sind die beiden auf dem Weg von der Zwei-Sterne- zur Drei-Sterne-S-Dressurprüfung. „Das macht er schon sehr gut, die Piaffe macht er mit sehr viel Energie und in der Wechseltour entwickelt er großen Ehrgeiz.“ Lissaros großen Bewegungsablauf möchte Witte „kleiner und schneller bekommen, damit er noch ein bisschen schneller abfußen kann.“ Dann zeigen Witte und Lissaro einige Pia-Tritte auf dem zweiten Hufschlag, fleißig im Hinterbein und ausdrucksstark. Zwei Minuten später pariert der Reiter durch, lässt die Zügel lang für einen kurzen Plausch. Sofort schaltet Lissaro um: Er steht mit einer Ruhe dort, als könnte ihn kein Orkan aus seinem inneren Gleichgewicht bringen. Lissaro ist ein Pferd mit einem An- und Ausknopf: auf den Moment da und genauso schnell wieder heruntergecoolt. Geradezu legendär ist eine Szene, die sich auf dem Bundeschampionat abspielte. Dreijährig war Lissaro da, ein Sturm tobte in Warendorf und hob einen Schirm über ein Festzelt in Richtung der Dreijährigen. Alle Pferde wurden nervös, hampelten herum, die Reiter hatten ihre liebe Mühe, ihre Youngsters bei sich zu halten. Und Lissaro? Der guckte kurz in Richtung des Schirms, der das Dach herunterrutschte, zuckte nicht mal mit dem Ohr und ging gelassen im Schritt weiter. Sofort musste er zur Dopingkontrolle – schließlich konnte sich keiner vorstellen, dass ein Jungpferd so gelassen wie ein Polizeipferd daherkommen könnte. Er war nicht gedopt. Später gewann er die Prüfung und wurde Bundeschampion, wie auch in den Jahren darauf. Deutschlands dreifacher Bundeschampion und Zuchtwertschätzungs-Primus hat nicht nur Bewegungen der Weltklasse, er hat zudem die Nervenstärke eines Therapiepferds.
Leistungsstarker Stutenstamm
[caption id="attachment_207051" align="alignleft" width="450"]Lilliano OLD, Vize-Bundeschampion
im Jahr 2014. © Judith Schempf[/caption] Lissaros Stutenstamm kommt aus dem Züchterhaus Dittmer aus Pedingworth im Landkreis Cuxhafen. Jutta und Jürgen Dittmer haben sich dort eine kleine, feine, hoch erfolgreiche Familienzucht aufgebaut. Auf dem Reitplatz neben ihrem rot geklinkerten Einfamilienhaus dreht an einem Morgen im Februar die Zuchtstute Rosanna, Halbschwester zu Lissaro, ihre Runden mit ihrem Don-Darius-Stutfohlen. Auf diesem Reitplatz haben die Dittmers Lissaro für die Körung selbst vorbereitet, ihn longiert und freispringen lassen, so wie sie es mit all den gekörten Hengsten aus ihrem Stutenstamm gemacht haben. Lissaros Stamm ist nämlich gespickt von sporterfolgreichen Pferden und gekörten Nachkommen. Jürgen Dittmer begann die Zucht mit Lissaros vierter Mutter, der 1966 geborenen Stute Serone von Servus-Abhang II. „Serone war eine sehr edle Stute, ein Fuchs mit viel Weiß“, erzählt er. Sein Großvater hatte sie aus der Lüneburger Heide geholt, verstarb jedoch kurz darauf. Jürgen Dittmers Eltern hatten mit den Pferden nicht viel am Hut, so übernahm der damals 19-Jährige die Stute selbst. Auf dieser Serone baut der Dittmersche Stutenstamm auf. „Servus mal Abhang II war eine Passerpaarung, die viele gute Pferde gebracht hat“, ordnet Zuchtexperte Claus Schridde diese Anpaarung ein. Prominentes Beispiel sei der Wallach Slibowitz von Dr. Uwe Schulten-Baumer junior (1978 Einzel-Vizeweltmeister in der Dressur). „Das waren zwei Hohnstorfer Leistungshengste, die gut aufeinander gepasst haben, auf der Grundlage konnte man vieles möglich machen.“ Die zweite Mutter der Serone von Abhang II wiederum stammt aus einer Vorbuchstute. Lissaros Mutterstamm sei daher ein typisches Beispiel dafür, wie aus einer Vorbuchstute innerhalb von acht Generationen ein sehr junger, leistungsstarker Stamm entwickelt werden könne, so Schridde. Das züchterische Rezept, das hinter diesem Erfolg steht, zeigt, dass ein Stamm nur mit der allerhöchsten Wertschätzung von Leistung und der richtigen Intuition so hervorragend zu entwickeln ist. Dieses Kunststück gelang den Dittmers. Der junge Jürgen Dittmer paarte Serone mit Diskant an, daraus entstand die 1973 geborene Darietta, die bei den Dittmers hervorragende Nachzucht hinterließ und selbst „sehr gut springen konnte, wie alle Diskants.“ Darietta lieferte den Dittmers die beiden Garibaldi-II-Vollschwestern Gracia (geboren 1980) und Grace (geboren 1983), bevor sie 1984 bei der Geburt eines weiteren Fohlens starb.
Das Erbe des Garibaldi II
Garibaldi II ist enorm wichtig, will man Lissaro und seine Vererbung verstehen. Lissaro vererbt nämlich nicht nur wie Garibaldi II seinen Nachkommen viel Weiß – auch seine hervorragende Oberlinie mit dem starken Rücken erinnert stark an den Urgroßvater. „Er hat viel von Garibaldi II, vor allem Vielseitigkeit und Kraft, Gangvermögen und Springveranlagung“, betont Abstammungsexperte Claus Schridde. Gracia von Garibaldi II ist die zweite Mutter von Lissaro. Eine sehr große, langlinierte Stute mit dem typischen großen Garibaldi-II-Kopf. (Am Esszimmertisch der Dittmers muss Jutta Dittmer lachen, als sie nach Fotos von Gracia sucht: „Ja, der Garibaldi-Kopf hat uns ja immer verfolgt!“) Gracia, dreijährig beste Stute der Schau in Ihlienworth, sei nicht die Schönste gewesen, „aber“ – Jutta Dittmer hebt die Arme und ballt die Fäuste zu einer Siegergeste – „die war sooo leistungsstark! Ein Pferd, das mitarbeiten wollte, selbstbewusst, mit ganz viel Präsenz und mit wahnsinnig viel Bewegung ausgestattet“. Locker, durch den Körper und immer mit viel Takt habe sie sich bewegt, und der einzige Wunsch der Dittmers zur Hengstwahl war: Da muss Typ dran. Ihre Vollschwester Grace, eine kleinere Fuchsstute mit ansprechendem Typ, absolvierte die erste Stutenleistungsprüfung, die es überhaupt auf dem Dobrock gab (ihre ältere Schwester Gracia hat daher noch keine Stutenleistungsprüfung vorzuweisen) und gewann diese. Die Dittmers paarten Gracia mehrfach mit Matcho AA an, was heikel war, denn er stand auf einer anderen Deckstation. Damals war ein Wechsel von der Stammstation zu einer anderen noch ein unverfrorener Schachzug. „Aber wir haben immer etwas ausprobiert, schließlich müssen wir ja mit dem Ergebnis leben“, sagt Jutta Dittmer. Ohne so ein kleines Wagnis würde die Züchterei auch keinen Spaß machen. An Matcho AA schätzten die Dittmers „seinen unwahrscheinlich guten Charakter, sein angenehmes Selbstbewusstsein und seinen tollen Blütertyp.“ Zwar habe der Anglo-Araber nicht die weltbesten Pferde im Springen gemacht, aber seine Nachkommen seien im Umgang stets angenehm gewesen – auch ein Grund, warum er ebenso in der Ponyzucht eingesetzt wurde. Das Streuen in der Größe brachte Matcho AA als Manko mit. Aus der Anpaarung von Matcho AA mit Gracia entstanden zwei gekörte Hengste: der ganz im Typ des Vaters stehende Körsieger Maurice, der nach einer Zeit in Celle nach Übersee verkauft wurde (selbst bis St. Georg erfolgreich, seine Nachkommen sind in Dressur und Springen bis in die schwerste Klasse erfolgreich) und Privatbeschäler Mackintosh (selbst bis M-Springen erfolgreich, Nachkommen bis S-Springen und CIC* erfolgreich).Fest verankert: der Schritt
[caption id="attachment_207053" align="alignleft" width="450"]gutes Führpferd im Gelände ab. © Marianne Schwöbel[/caption] 1985 brachte Gracia wieder mit Matcho AA die Mutter Lissaros, Marquesa. „Marquesa ist in unseren Armen geboren und gestorben“, erzählt Jutta Dittmer. Dazwischen lagen viele gute Fohlen der fruchtbaren, gesunden Stute. Ihr sah man den Vater Matcho AA nicht direkt an. „Vom Typ her war Marquesa ganz ihre Mutter, mit 1,73 m Stockmaß eine große Stute mit langen Linien. Sie hatte eine unglaubliche Leistungsbereitschaft und Ausdauer“, erzählen die Dittmers. Die hervorragenden Grundgangarten hatte sie ebenfalls von ihrer Mutter mitbekommen, die Dittmers sehen darin das Garibaldi-II-Erbe. Charakterlich ähnelt ihr imposanter Sohn Lissaro van de Helle der Stute nicht: „Marquesa war so ein Typ Pferd, der super ehrlich zu reiten war – aber sie war absolut kein Schmusepferd. Wollte jemand sie streicheln, drehte sie sich weg.“ In der Stutenleistungsprüfung erhielt Staatsprämienstute Marquesa jeweils die Note Acht für Typ, Qualität des Körperbaus, Schritt und Springen unter dem Reiter, sogar die Neun für die Gesamtentwicklung. Die 1992 geborene Vollschwester zur Marquesa, Merci, ist mit ihren Nachkommen ein weiterer Beleg für die vielseitige Vererbungskraft des Stammes. Fünf Nachkommen der Merci sind bei der FN gelistet, darunter ein S-Dressur- und ein S-Springpferd. Ganz auffällig in der gesamten Stutenfamilie des Lissaro sind die Schrittnoten der Eintragungen und der Stutenleistungsprüfungen: Niemals ist der Schritt mit weniger als einer 8,0 bewertet. Der Schritt ist in diesem Stutenstamm bestens abgesichert. Marquesa paarten die Dittmers zunächst fünfmal mit Graf Sponeck an. Hier gefielen ihnen die Doppelveranlagung und der Leistungswille. Aus diesen Anpaarungen stammen zum Beispiel das Vielseitigkeitspferd Galactic Paint sowie der hannoversch gekörte Giuliano DH vom Donseler Hof (erfolgreich in S-Springen) und die Staatsprämienstute Gräfin Sponeck, die sehr viele Materialpferdeprüfungen gewann und zum Beispiel Fünfte wurde beim Hannoveraner Championat 1994 auf dem Dobrock. Nach den Graf-Sponeck-Kindern folgten zwei Nachkommen der Marquesa von Rotspon. Mit der 2001 geborenen Rosanna züchten die Dittmers heute noch. Rosanna erhielt im Freispringen in der Stutenleistungsprüfung zweimal eine 10,0 – und das als Tochter des Reitpferdemachers Rotspon. Wieder mit dem Gedanken an Typverbesserung paarten die Züchter Marquesa darauf in dreimal mit Wolkenstein II an, es wurden zwei lebende Fohlen geboren. 1997 war dies Why Not, der später in M- und S-Dressuren Erfolge sammelte. Ein weiterer Nachkomme, später eingegangen, stammte von Sunset Boulevard xx. Und aus der Anpaarung mit Contendro I stammt der gekörte Hengst Cincano, der über die Verdener Auktion nach Brasilien verkauft wurde und nun unter dem Namen Cincano da Pedreira international im Springen erfolgreich ist. Im Jahr 2004 paarten die Dittmers Marquesa mit Lissabon an. [/ihc-hide-content] © Dieser Auszug basiert auf einem Beitrag von Jeannette Aretz, der im Sammelwerk „Ausgewählte Hengste Deutschlands 2016/17“ erschienen ist.
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