Holsteiner Stamm 5421 – Legendärer Mutterstamm (Teil 1)

Wer heute vom Holsteiner Leistungsstamm 5421 spricht, der redet automatisch auch von Friedrich-Wilhelm Maack aus Glückstadt an der Elbe. Allein zwölf der 28 gekörten Hengste aus diesem Mutterstamm gehen auf Anpaarungsschöpfungen von und mit Maack zurück.

Holsteiner Juwel

Die Anfänge des Holsteiner Leistungsstamms 5421 sind eigentlich nicht der Zuchtstätte in Glückstadt zuzuordnen. 1972 kaufte Maack von Klaus von Drathen aus Kollmar ein Schimmelstutfohlen von Moltke I aus der Stute Ballade (v. Farnese aus der Omara v.  Logenschließer), das später unter dem Namen Juwel zu großer Bedeutung gelangen sollte. Der in Holstein geschmähte Springpferdevererber Moltke I faszinierte Maack ebenso wie dessen Vater, der international erfolgreiche Schimmel Maximus. So ist es nicht verwunderlich, dass Maximus und Moltke I, unabhängig von der Stammzugehörigkeit, in vielen Stämmen vorkommen. Maximus verfügte über sehr gute Bewegungen und eine erstklassige Galoppade bei fester Konstitution und guter Rittigkeit. Die Springanlage war weit überdurchschnittlich mit guter Manier und sehr guter Technik, was er im internationalen Springsport mit Manfred Kloeß unter Beweis stellte. Er lieferte gute, leistungsbereite Sportpferde in seinem Typ mit guten Grundgangarten und durchgehend überragender Springveranlagung. Der Sohn Moltke I war ein sehr großer, muskulöser Schimmel mit viel Hengstausdruck. Er verfügte über drei durchweg gute Grundgangarten und überragende Springanlagen hinsichtlich Vermögen und Bascule. Moltke I war bei aller Größe auch elastisch, sehr gut zu reiten und vorzüglich in der Maultätigkeit. Seine Nachkommen waren durchweg großlinig, oft  edler als er selbst, mit guten Grundgangarten und enormem Springvermögen. Aus nur zwei Deckjahren mit sehr starker Nutzung in Holstein resultierten Spitzenpferde in Serie, die ihn über Jahre in eine führende Position der deutschen Sportpferdeväter katapultierten.

Ramiro gibt Impulse

[caption id="attachment_203289" align="alignleft" width="450"] Die Schimmelstute Juwel fohlte 1990 mit Ramiro’s Son II ihren dritten gekörten Sohn. Ramiro’s Son II lieferte Springpferde von außergewöhnlicher Klasse in ebenso außergewöhnlich hoher Frequenz.
© Eylers[/caption] Ein entscheidender Impuls zur Entwicklung dieses Stammes kam für Maack über die Bekanntschaft  mit Fritz Ligges, der Reiter, Förderer und Mentor des Jahrhunderthengstes Ramiro wurde. Dieser großrahmige und damals noch jugendliche Dunkelbraune schien Maack der geeignete Partner für seine Stuten zu sein. Über mehr als zwei Jahrzehnte hat er sich des Erbgutes dieses überragenden Hengstes bedient. In der Folgezeit wurden Maacks Moltke I- und Maximus-Töchter mit Ramiro und umgekehrt auch Ramiro-Töchter mit Maximus angepaart. Ramiro war ein sehr großer, bedeutender Beschäler mit enormer Ausstrahlung, hochnobel im Typ des modernen Reitpferdes, bedeutend in allen Points. Guter Trab und ein sehr groß übersetzter Galopp zeichneten ihn aus. Am Sprung zeigte er eine Spitzentechnik und überragendes Vermögen. Charakter, Temperament und Rittigkeit waren beispielhaft . Die Schimmelstute Juwel wurde jedoch zunächst angepaart mit dem damals äußerst gefragten Cor de la Bryère, und die Produkte waren die Schimmelstuten Nassandra und Odyssee, die beide verkauft  wurden und sowohl züchterisch als auch sportlich einschlugen. Dann kam Ramiro zum Einsatz, und das erste herausragende Produkt war 1980 der spätere gekörte Hengst Ramiro’s Son I, dessen Karriere auf der Station Behlen im hessischen Bömighausen begann. Später wechselte er auf die Station Ligges ins Westfälische über, wo er unter Dietmar Gugler etliche schwere Springen gewann und ein hochklassiger Springpferdemacher wurde. Ramiro’s Son I brachte drei gekörte Söhne: Aus Hessen stammt der nach wie vor zuchtaktive Sohn Raminus (PB Sachsen), in Westfalen wurden Reuter (PB Westfalen) und der sehr profilierte Ramiro’s Match (Ldb. Neustadt/Dosse) gekört.

Bruch mit Holstein

Anfang der 80er-Jahre kam es zum Bruch zwischen Maack und den Funktionären des Holsteiner Verbandes, vor allem mit dem damaligen Geschäftsführer Maas Hell gab es Zwistigkeiten, die Maack veranlassten, Holstein vorerst den Rücken zu kehren und sich dem hannoverschen Verband zuzuwenden. Doch über die nahe gelegene Elbe fuhr er deshalb trotzdem eher selten, schließlich deckte ein Hannoveraner von außergewöhnlicher Klasse auf Holsteiner Boden: Pik Bube I. Der Grönwohldhofer Multivererber wurde künftig Partner der Maack’schen Stutenherde und harmonierte außergewöhnlich erfolgreich mit seiner meist schimmelfarbigen „Kundschaft “ aus Glückstadt. 1983 wurde Pikdame geboren, 1984 Pik Bube’s Girl, 1985 das S-Dressurpferd Piedras/Inge Wolters und 1986 der Schimmelhengst Pik Bube’s Son. Pikdame war eine echte Spitzenstute: Aus ihr resultieren die gekörten Vollbrüder Ramiro’s Boy und Ramiro’s Bube, ferner deren Vollschwester Ramiro’s Dame.  Während die Laufb ahn des großrahmigen Ramiro’s Boy nach mäßiger Hengstleistungsprüfung nie richtig Fahrt aufnahm, hatte der märchenhaft  schöne und charakterstarke Schimmel Ramiro’s Bube im Gestüt Schloß Heiligenstedten einen fulminanten Karrierestart. Bedauerlicherweise wurde er als Dressurpferd angepriesen (später u. a. für die Schweiz Grand Prixerfolgreich mit Christine Stückelberger), obwohl er eben klar springprädestiniert gezogen war und auch ziemlich ausschließlich Springtalent vererbte. (Dieses Schicksal teilte er mit seinem zeitweiligen Stallkollegen Cheenook.) In den Jahren 2007 und 2008 stand der antrittsstarke Schimmel wieder in Deutschland auf der Station Schridde (Querenhorst/Niedersachsen) und hat dort einige hoffnungsvolle Nachwuchspferde hinterlassen, ehe er 2009 zu seinen Besitzern nach Österreich zurückging, wo er noch heute im Deckeinsatz ist. Auch Ramiro’s Dame wurde Hengstmutter. Sie brachte aus Anpaarung mit dem Vollblüter Langata Express xx den gekörten Sohn Langata Son, der nach kurzem Deckeinsatz in Deutschland züchterisch und sportlich (Vielseitigkeit) auf der Station Schoukens in Belgien genutzt wurde. Auch Pikdame selbst wurde Partnerin des Langata Express xx: Die Tochter St.Pr.St. Langata`s Dame glänzte auf vielen Schauen, brachte zunächst die S-erfolgreiche Ramila FRH (v. Ramiro’s Son II) und später – nicht mehr im Stall Maack –  aus Anpaarung an den Trakehner Hohenstein I die gekörten Hengste Hohenstaufen I und II, deren erster mit Christin Schütte im Junioren-Dressursport höchst erfolgreich war. Ramila FRH wurde aus Anpaarung an Landclassic Mutter des in Dänemark züchterisch und sportlich sehr erfolgreichen Schimmelhengstes Luganer/Rikke Haastrup-Pedersen und ging als S-Siegerin unter Wulf-Hinrich Hamann später in die USA, wo sie von Emily George international vorgestellt wurde. 2012 stellte Langata’s Dame mit Desperados einen gekörten Schimmel-Sohn (Z.: Rudolf Schepergerdes, Meppen), der auf der Verdener Körung nach Dänemark verkauft  wurde.

Bundessiegerin Pik Bube’s Girl

[caption id="attachment_203293" align="alignleft" width="294"] Carthago brachte in Anpaarung an Imke, eine direkte Tochter von Omara, den in Belgien sehr beliebten Hengstsohn Codex.
© Eylers[/caption] Von außergewöhnlicher Klasse war auch Pik Bube’s Girl. Diese großartige Schimmelstute wurde 1990 zur Siegerstute der Bundesstutenschau in Verden ausgerufen. Auch sie fohlte zunächst vorzugsweise von Ramiro: Die Tochter Ramina sicherte sich Dr. Günter Eckert aus Uchte als Fohlen auf der Verdener Auktion und züchtete mit ihr den gekörten Hengst Don Bosco von Donnerhall. Dieser war zunächst einige Jahre Privathengst mit überschaubarer Ausnutzung und verblüffte die Fachwelt auf dem Verdener Hengstmarkt 2000, als er zwei gekörte Söhne stellte, darunter den unangefochtenen Siegerhengst Don Crusador. Und dieser hatte es gleich doppelt in sich, denn er war engmaschig auf den Stamm 5421 ingezogen. Seine Mutter Larissa ist eine Tochter des berühmten Lauries Crusador xx aus der Pik Bube’s Girl, die damit väterliche Urgroßmutter und mütterliche Großmutter ist. Don Bosco und sein Sohn Don Crusador decken als Celler Landbeschäler auf den Besamungsstationen Stader Geest in Bargstedt und Aller-Weser in Verden. Pik Bube’s Girl wurde selbst auch zweifache Hengstmutter: Ihre Söhne sind der Schimmel Diorello (v. Davignon I), der kurz auf dem Amselhof Walle deckte und ohne Hengstleistungsprüfung schon früh wieder ausschied, und der Celler Landbeschäler Contendro’s Bube (v. Contendro I). Contendro’s Bube kam zunächst im hessischen Landgestüt Dillenburg zum Einsatz, dann 2008 eine Saison in Aurich-Popens und von 2009 bis 2011 in Roydorf. Er ist vielfacher S-Sieger im Dressursport und hat das Landgestüt Celle inzwischen verlassen. Der erwähnte Vollbruder Pik Bube’s Son erbrachte u. a. mit Sören von Rönne die zur Körung erforderlichen Eigenerfolge im Springsport und wurde unter dem Sponsornamen Delta’s Bubka gekört. Der geneigte Leser hat natürlich bereits erkannt, dass in den Ahnenreihen der Maack’schen Pferde die Vollblüter Langata Express xx und Lauries Crusador xx auft auchen. Diese gehörten beziehungsweise gehören zum Aufgebot des Stalles Hell in Klein Offenseth. Da er die hohe Qualität dieser Hengste erkannte, wählte Maack sie – ungeachtet der damals noch bestehenden Ressentiments – für seine Stuten aus. So kam es, nachdem Maack seine Stuten quasi „per Boten“ zum Hengst geschickt hatte, nach einigen Fehdejahren auch zur Versöhnung der beiden großen Pferdemänner Hell und Maack.

Stammhalter Ramiro’s Son II

[caption id="attachment_203295" align="alignleft" width="297"] Don Crusador, unangefochtener Siegerhengst auf dem Verdener Hengstmarkt im Jahr 2000, stammt von Ramina, einer Tochter von Pik Bube’s Girl © Eylers[/caption] Auch mit dem Holsteiner Verband hat Maack dann folgerichtig seinen Frieden gemacht, denn Juwel blieb nicht bis zuletzt in Hannover eingetragen: 1990 fohlte sie mit Ramiro’s Son II ihren dritten gekörten Sohn. Dieser rahmige Dunkelbraune blieb zunächst in Maacks Besitz und war von 1994 bis 1996 Leihhengst im Landgestüt Celle auf der Station Oberndorf. Obwohl er deutlich im Schatten seines damals äußerst begehrten Jahrgangskollegen Wolkenstein II stand, lieferte der Dunkelbraune mit dem auffallenden Gesichtssignalement Springpferde von außergewöhnlicher Klasse, noch dazu in ebenso außergewöhnlich hoher Frequenz. Mill Creek Rosalinde/Eric Lamaze/ CAN, Ricarda 185/Hans-Peter Konle, Ricarda 190/ Angelica Augustsson/SWE beziehungsweise Marco Kutscher, Ramila/Emily George/CAN, Rushdy/Ciaran Howley/IRL und Robin Hood 126/Holger Wulschner sprechen eine deutliche Sprache. Drei gekörte Söhne stammen aus dieser Zeit, von denen Romantic Star im Stall Saul einige Nachzucht hinterließ und heute in den USA wirkt. Maack schickte Ramiro’s Son II mit Sören von Rönne in den Sport. Innerhalb kurzer Zeit gewann er S-Springen und platzierte sich etliche Male. Der Holsteiner Verband, bei dem das Ramiro-Blut heute gar nicht mehr präsent ist, signalisierte seinerzeit Kaufinteresse, erwarb ihn, stationierte ihn 2002 in Elmshorn und verpachtete ihn 2003 nach Italien. Von dort kehrte dieser hochklassige Hengst im Frühsommer 2009 in erbarmungswürdigem Zustand zurück und nahm zunächst pachthalber den Platz seines nahen Verwandten Ramiro’s Bube bei Familie Schridde im niedersächsischen Querenhorst ein, wohin er inzwischen ganz übergewechselt ist. Kenner und Springexperten haben den reinerbig dunklen Hengst in den letzten Jahren gezielt eingesetzt, sodass er möglicherweise über den einen oder anderen Hengstsohn noch für den Fortbestand der Ramzes AA-Linie im Mannesstamm sorgen kann. 2012 wurde sein Holsteiner Sohn Rebell 549 (M. v. Landlord) unter Michael Grimm holsteinischer Landesmeister im Springreiten. © Dieser Auszug basiert auf einem Beitrag von Claus Schridde, der im Sammelwerk „Ausgewählte Hengste Deutschlands 2014/15“ erschienen ist.