Genveränderungen – Der Preis der Domestikation (Teil 2)

Chancen und Grenzen von Gentests

[caption id="attachment_207543" align="alignleft" width="300"]
Natursprung © Grafissimo/istockphoto.com[/caption] Auch wenn die Molekulargenetik Pferden, Züchtern und Besitzern mithilfe zahlreicher Gentests viel Leid, Kummer und finanzielle Verluste erspart, hat sie zumindest nach heutigem wissenschaft­lichen Stand auch Grenzen. Denn der DNA-Test weist immer nur eine Mutation eines spezifischen Gens nach. „Man muss berücksichtigen, dass es für manche Merkmale mehrere unabhängige Allele gibt“, sagt Professor Tosso Leeb vom Institut für Genetik der Universität Bern. In der Praxis bedeutet das, dass auch ein gesundes, homozygotes Tier eine Erbkrankheit bekommen oder weitervererben kann, wenn es noch ein anderes mutiertes Gen trägt, das für das gleiche Krankheitsbild verantwortlich ist. Zudem wird nicht für jede bekannte Mutation ein Gentest als kommerzielle Dienstleistung angeboten. Bei Verdacht auf das Vorliegen einer Erbkrankheit oder beim Wunsch nach einem Gentest sollten private Tierbesitzer, Züchter, Tierärzte oder Rasseclubs eine in Veterinärgenetik kompetente Forschungsgruppe kontaktieren. „Davon gibt es meiner Einschätzung nach etwa zehn in Europa und rund 25 weltweit. Die Genetiker kennen sich und arbeiten im Wesentlichen auch gut zusammen, in Fällen, in denen die Diagnose der Phänotypen sehr schwierig ist, werden auch klinische Spezialisten hinzugezogen“, sagt Leeb. Die Entwicklung eines Gentests dauert abhängig vom Einzelfall zwischen drei Monaten und einem Jahr, manchmal ist sie aber auch unmöglich. Der Forscher empfiehlt Rasseverbänden, eine gute Datenbank über die Phänotypen in ihrer Population anzulegen und vorsorglich EDTA-Blutproben von möglichst vielen Tieren zu archivieren, damit bei Bedarf ausreichend Probenmaterial von betroffenen und nicht betroffenen Pferden zur Verfügung steht. „Das ist ein guter Tipp aus der Wissenscha­ft, der so noch nicht umgesetzt wird, über den wir aber sicher nachdenken sollten“, sagt Ismer.[ihc-hide-content ihc_mb_type="show" ihc_mb_who="4,3" ihc_mb_template="3" ]

Die Zucht ist Moden unterworfen

[caption id="attachment_207539" align="alignleft" width="450"] Paart man zwei Paint Horses mit
der beliebten „Overo-Scheckung“
miteinander, so kann das Fohlen
mit der Erbkrankheit OLWS
geboren werden. © zuzule/Fotolia.com[/caption] Die genetische Diversität ist nicht nur im Kampf gegen krankhaft­e Genmutationen wichtig, sondern auch, um Zuchtziele bei Bedarf anpassen und verändern zu können. Das zeigte vor Kurzem auch eine Studie eines internationalen Forscherteams unter der Leitung von PD Dr. Arne Ludwig vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW). Die Wissenschaft­ler hatten anhand von 96 Knochen- und Zahnproben aus der Zeit des späten Pleistozäns (ca. 10.000 Jahre v. Chr.) bis zum Mittelalter das stark schwankende Vorkommen der Tigerscheckung rekonstruiert. Während es in der frühen Bronzezeit (2700 bis 2200 v. Chr.) noch zahlreiche Tigerschecken unter den Hauspferden gab, waren Pferde mit schwarzen Flecken auf weißem Grund Ende des Zeitalters fast verschwunden. Das erklären die Wissenschaft­ler unter anderem damit, dass reinerbige Pferde mit diesem Merkmal nicht nur komplett weiß, sondern auch nachtblind sind. Eine Eigenschaft­, die den Pferden in freier Wildbahn das Überleben fast unmöglich macht und die die Tiere so nervös und ängstlich werden lässt, dass sie als Reitpferd nur eingeschränkt genutzt werden können. Doch 1.000 bis 1.500 Jahre später faszinierte die hübsche Fellfärbung einige Pferdezüchter offenbar so sehr, dass sie durch die Einkreuzung der damals noch vorhandenen Wildpferde wieder zurück in den Genpool der Hauspferde gebracht wurde. Die Praxis, die domestizierten Herden durch Einkreuzungen von Wildpferden, vor allem Stuten, zu erweitern, war laut dem Ergebnis einer Studie an der Universität Cambridge, wo Vera Warmuth und ein Team 2012 zu dieser Frage DNA-Proben von 322 Pferden aus acht Ländern untersucht hatten, lange weitverbreitet. Im Mittelalter und im Barock erlebten die Tigerschecken unter anderem als Statussymbol der Adligen und Symbol für die Keuschheit einen echten Boom, bevor die Nachfrage wieder nachließ. Heute ist das „leopard spotting“-Gen in zahlreichen Rassen, zum Beispiel bei Norikern, Knabstruppern und Appaloosas, vertreten, gerade bei Freizeitreitern ist das Scheckungsmuster beliebt. „Das Verhalten der Züchter und ihre Präferenzen wechselten damals, genauso wie Vorlieben heutzutage auch Änderungen unterliegen“, so Ludwig. „Heute haben wir jedoch in der Zucht oft­mals das Problem, dass wir auf keine entsprechenden Wildtierarten mehr zurückgreifen können, da sie schlichtweg ausgerottet bzw. die Wildtypen herausgezüchtet wurden. Für den Genpool der heutigen Haustierrassen ist das auf lange Sicht negativ zu beurteilen, da die fehlende genetische Diversität die Möglichkeiten der Zucht zukünftig stark einschränken wird“, so Ludwig.

Gefährdete Pferderassen erhalten

[caption id="attachment_207541" align="alignleft" width="450"] Auch Przewalskipferde müssen
mit Genveränderungen aufgrund
von Inzucht leben. © Christian Musat/Fotolia.com[/caption] Vor diesem Hintergrund könnten die Bemühungen vieler Vereine und des „Nationalen Fachprogrammes zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung tiergenetischer Ressourcen“, wenn schon nicht die wilden Vorfahren unserer Pferde, dann doch wenigstens die alten Hauspferderassen zu erhalten, in Zukunft­ wichtig für die gesamte Pferdezucht werden. Alte Pferderassen zeichnen sich ebenso wie andere alte Nutztierrassen wie Schweine und Rinder dadurch aus, dass sie optimal an die regionalen Bedingungen wie Klima und Bodenverhältnisse angepasst sind. Zudem überzeugen sie oftmals mit einer robusten Gesundheit, einem ausgeglichenen Charakter und vielseitiger Einsetzbarkeit im Freizeitreiten und Fahren, in der Reittherapie, in der Landscha­ftspflege und in der Biolandwirtschaft­. Zu diesen gefährdeten Rassen in Deutschland gehören unter anderem das Schleswiger Kaltblut, das Dülmener Pony, der Leustettener, der Pfalz-Ardenner, das Rheinisch-Deutsche Kaltblut, der Rottaler, das Schwarzwälder Kaltblut, das Schwere Warmblut (einschließlich Alt-Württemberger, Ostfriesisch-Altoldenburgisches Schweres Warmblut, Sächsisch-Thüringisches Schweres Warmblut), der Senner sowie das Süddeutsche Kaltblut. „Das nationale Fachprogramm zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung tiergenetischer Ressourcen wurde im Jahr 2003 von Bund und Ländern beschlossen“, erklärt Barbara Moitz, Pressesprecherin bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft­ und Ernährung (BLE). „Es beschreibt eine langfristige Strategie mit Maßnahmenpaketen zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung tiergenetischer Ressourcen. Ziel ist, die Vielfalt an Rassen mit ihren spezifischen Eigenschaft­en als Ressource für die Tierzucht und als Kulturgut zu erhalten.“ Hierfür und zur Vermeidung von Inzucht und den damit verbundenen Problemen strebt das Fachprogramm ausreichend große Bestände für jede einheimische Rasse an. „Aber auch innerhalb der Bestände sollte eine ausreichend große genetische Vielfalt vorhanden sein“, so Moitz. Das BLE erfasst jährlich die Anzahl weiblicher und männlicher Herdbuchtiere der in Deutschland gezüchteten Pferderassen, schätzt auf dieser Grundlage die jeweiligen Populationsgrößen und lässt die Rasse vom Fachbeirat Tiergenetische Ressourcen in bestimmte Gefährdungskategorien einordnen. „Um die Zucht und Erhaltung der gefährdeten einheimischen Pferderassen in ihrer ursprünglichen Umgebung und Nutzung zu unterstützen, gewähren viele Bundesländer eine Förderung, zumeist in Form von Haltungsprämien für Herdbuchtiere“, sagt Moitz. „Darüber hinaus unterstützt die BLE durch Projektförderung Maßnahmen, die Wege zum Abbau bestehender Defizite und Probleme bei der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der Agrobiodiversität beispielha­ft aufzeigen und innovative Konzepte mit Vorbildcharakter entwickeln und umsetzen.“ Außerdem plant das BLE die Gründung einer Deutschen Genbank für Nutztiere zur Kryokonservierung, das heißt für die Aufbewahrung von Zellen und Gewebe durch Einfrieren in flüssigem Stickstoff. Im Moment werden bereits Kryoreserven vom Schleswiger Kaltblut und vom Schweren Warmblut im Institut für Nutztiergenetik des Friedrich-Loeffler-Instituts in Mariensee gelagert. Die Maßnahmen, besonders die Unterstützung durch Haltungsprämien, zeigen bereits Erfolg: „Der Bestand des Schwarzwälder Kaltblutes konnte sich so stabilisieren, dass wir die Rasse in eine geringere Gefährdungskategorie unter Beobachtungspopulation einordnen konnten. Auch die Bestände des Süddeutschen Kaltblutes haben sich erhöht.“   Zum Weiterlesen Die komplette Studie von Ludovic Orlando und seinem Team kann für 10 US-Dollar im PDF-Format (auf Englisch) unter http://www.pnas.org/content/111/52/E5661 erworben werden. In Zukunft­ plant der Forscher weitere Untersuchungen rund um die Domestikation des Pferdes. „Wir sequenzieren im Moment das Erbmaterial von Pferden, die in verschiedenen Epochen, zum Beispiel bei den Römern oder den Skythen gelebt haben. Wir hoffen auf diese Weise zu sehen, wie und wann genau es zu den wichtigsten Veränderungen im Erbgut kam“, so Orlando.     [/ihc-hide-content] © Dieser Auszug basiert auf einem Beitrag von Heidi van Elderen, der im Sammelwerk „Ausgewählte Hengste Deutschlands 2016/17“ erschienen ist.